"Ohnmacht", titeln Le Soir und La Libre Belgique. "Komplette Ohnmacht", schreibt sogar Het Belang van Limburg. "Das Chaos", schreibt La Dernière Heure. Dramatische Schlagzeilen heute auf ausnahmslos allen Titelseiten. Oft sieht man dasselbe Foto: Es ist eine Szene aus Lüttich. Man sieht Menschen, die bis zum Bauch im Wasser stehen, sie tragen einige wenige Habseligkeiten und bringen sich in Sicherheit. Ihnen ist der Schock und die Angst anzusehen. "Jenseits der Verzweiflung", titelt Gazet van Antwerpen.
Es ist eine beispiellose Katastrophe, die vor allem den südlichen Landesteil heimsucht. Mindestens elf Menschen kamen ums Leben, einige Zeitungen sprechen von mindestens zwölf Todesopfern. "Tödliches Unwetter", schreiben denn auch De Tijd und L'Echo. "Tödliche und beispiellose Sintflut", so formuliert es De Standaard. "Das Wasser bringt Tod und Chaos", so die Schlagzeile von L'Avenir. "Eine Schneise der Verwüstung", schreibt das GrenzEcho. "Was für eine Katastrophe!", titelt Het Laatste Nieuws.
Ode an die Solidarität
Heimgesucht wurde vor allem die Provinz Lüttich, und dann noch mal besonders der Raum Verviers. In Pepinster haben sich dramatische Szenen abgespielt. Viele Menschen hatten sich auf die Dächer ihrer Häuser geflüchtet und warteten dort auf Hilfe. "Selbst Boote und Helikopter konnten sie nicht erreichen", schreibt Het Nieuwsblad auf Seite eins. "Wir ertrinken, kommt uns retten!", so die dramatische Schlagzeile von De Morgen.
Städte und Ortschaften teilweise evakuiert, Straßen, die sich in reißende Flüsse verwandelt haben, tausende Häuser zerstört oder beschädigt. Und vor allem: Tote und Verletzte. Unfassbar, beispiellos, das sind die einzigen Worte, die einem dazu einfallen, meint Le Soir in seinem Leitartikel. Krisen wie diese lassen aber auch schöne Seiten aufblitzen: die Solidarität. Solidarität unter Nachbarn, unter Jüngeren und Älteren, unter Freiwilligen und professionellen Helfern. Jetzt ist noch nicht die Zeit, um zu streiten, um nach Verantwortlichkeiten zu suchen. Jetzt geht es erstmal nur um die Nothilfe. Retten, bewahren, wiederaufbauen. In Solidarität.
Auch L'Avenir und La Dernière Heure bringen eine Ode an die Solidarität. In der Krise zeigen sich die besten Seiten der Menschen: Spontane Hilfsbereitschaft, anonyme Bürger, die anonymen Bürgern helfen. Das rettet nicht nur Leben, das gibt auch Sicherheit. Selbst in höchster Not.
"Nun ist sie da, die Katastrophe. Und sie hat uns voll erwischt", stellt das GrenzEcho in seinem Leitartikel fest. Mitten in Ostbelgien, um das, zumindest bislang, Katastrophen zumeist einen weiten Bogen zogen. Auf einmal werden Überflutungsbilder, die man eigentlich nur etwa aus Bangladesch kennt, zu greifbaren Erlebnissen. Und plötzlich bekommt der doch immer noch sehr abstrakt erscheinende Klimawandel ein Gesicht. Eine Furcht erregende Fratze.
Ein Zeugnis von mangelnder emotionaler Intelligenz
Denn: Normal ist das alles absolut nicht mehr, ist Het Nieuwsblad überzeugt. Natürlich sind die Ursachen vielschichtig. Wir haben unsere Welt zubetoniert, haben Überflutungsflächen bebaut. Wir sehen hier aber auch die Auswirkungen des Klimawandels. Wissenschaftler waren lange vorsichtig und wollten nicht vorschnell einen Zusammenhang herstellen zwischen Wetterphänomene und der Klimaveränderung. Diese Vorsicht hat sich verflüchtigt. Denn: Hier werden Trends sichtbar. Wenn abnormale Extreme extrem normal werden, dann haben wir ein Problem.
Het Laatste Nieuws ärgert sich seinerseits über solche Unkenrufe. Kaum gingen die ersten Bilder der Katastrophe durch die Presse, da meldeten sich schon die Klimaschützer vom Dienst, angefangen bei Greta Thunberg. "Genau davor warnen wir doch schon seit Jahren!", hört man da. Nun, die Menschen brauchen in diesen schweren Stunden keine besserwisserischen Moralpredigten. Die Absichten der Klimaaktivisten mögen nobel sein, sie verfehlen das Ziel. Schlimmer noch: Sie bringen am Ende Menschen dazu, das Problem "jetzt erst recht" zu leugnen. Indem man Ängste schürt, motiviert man die Menschen nicht. Das zeugt von mangelnder emotionaler Intelligenz.
"Morgen hat gerade erst angefangen"
"Hier geht's nicht um Ideologie oder Religion, sondern um Wissenschaft", unterstreicht aber La Libre Belgique. Man muss der Realität irgendwann ins Auge sehen. Und dann auch die Schlussfolgerungen daraus ziehen. Es ist unumgänglich: Wir müssen unsere Lebensweise ändern. Das beginnt bei der Raumordnung. Viel zu oft wurde viel zu viel Energie darauf verwandt, um schlechte Ausreden zu finden, um letztlich nicht das zu tun, was nötig ist. "Morgen? Morgen bin ich tot", hat man viel zu oft viel zu viele Verantwortliche sagen hören. Nun: Jetzt sind wir "morgen". Und "morgen" hat gerade erst angefangen.
"Da gibt's nichts mehr zu leugnen", ist Het Belang van Limburg überzeugt. Zumindest kann niemand mehr behaupten, dass es so gar keinen Zusammenhang gibt zwischen dem Klimawandel und den extremen Wetterphänomenen. Dafür sind eben diese Ausnahmen in den letzten Jahren viel zu häufig zur Regel geworden. Raumordnungsmaßnahmen sind aber eigentlich nur gleichbedeutend mit der Bekämpfung von Symptomen. Gerade am Mittwoch hat aber auch die EU einen ehrgeizigen Plan vorgelegt, um den CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent zu senken. "Zu teuer", sagen viele Kritiker. Es wird teuer, das stimmt. Man muss das aber mit den Kosten verrechnen, die Wetterkatastrophen anrichten können.
Auch die Folgen von Untätigkeit werden etwas kosten
Es ist schon seltsam, dass der Klimawandel trotz aller Wetterkapriolen immer noch nicht als akute Katastrophe betrachtet wird, beklagt Gazet van Antwerpen. 50 Grad in Kanada, Land unter in der Wallonie und in Limburg, und doch nennt praktisch niemand das Klimamonster beim Namen. Und, wenn die EU einen ehrgeizigen Plan vorlegt, dann wird auch noch die Nase gerümpft...
"Das gilt vor allem für die flämische N-VA-Umweltministerin Zuhal Demir", kritisiert De Morgen. Sie wolle erst die Auswirkungen des Plans auf Flandern analysieren, sagte Demir. Denn die Menschen sollten doch nicht den Eindruck bekommen, dass Klimaschutz immer nur Geld kostet. Frau Demir hat offensichtlich noch nichts verstanden. Statt vor Ort die Schäden zu begutachten und Behelfslösungen in Aussicht zu stellen, sollte die Umweltministerin einfach nur ein bisschen weniger auf der Bremse stehen, wenn's wirklich drauf ankommt.
De Standaard nennt die Reaktion der flämischen Umweltministerin "zynisch". Ihr einziger Kommentar zu den Plänen von EU-Kommissar Frans Timmermans war die Frage, ob das Ganze denn auch machbar und bezahlbar ist. Als ob die Folgen von Untätigkeit nichts kosten würden. "Möge diese Flutkatastrophe ein Wendepunkt sein und endlich zu einem Umdenken führen", wünscht sich denn auch De Standaard...
Roger Pint