"Heute beginnt die EM für die Roten Teufel – ein Ziel: Champions", so der große Aufmacher bei Gazet van Antwerpen. "Heute Abend (21 Uhr) Auftaktspiel gegen Russland - Für die Teufel beginnt die Titel-Mission", liest man beim GrenzEcho. "'Bringt den Cup nach Hause!'", packt La Dernière Heure den Wunsch von sicher nicht nur Ex-Nationalspieler Marouane Fellaini an die belgische Mannschaft auf Seite eins.
Das erste EM-Spiel der Roten Teufel heute Abend gegen Russland ist ein wichtiges sportliches Ereignis – aber nicht nur das, stellt La Libre Belgique in ihrem Leitartikel fest. Es markiert nämlich nicht nur unseren Start in das Turnier, sondern auch den Beginn einer erfreulichen Auszeit in der gegenwärtigen Pandemie. Diese erste europäische Großveranstaltung in 15 Monaten wird es uns allen erlauben, egal ob nun jung oder alt, uns mit etwas anderem zu beschäftigen. Natürlich werden die gesundheitlichen Risiken ihre Spuren hinterlassen und wird das Virus Mannschaften durcheinanderbringen – aber dennoch erlaubt uns die Europameisterschaft, für einen Monat mal eine andere gemeinsame Erfahrung zu teilen. Trotz der Abwesenheit eines würdigen belgischen Stadions und damit eines belgischen Austragungsortes steigt die Begeisterung auch bei den Fans hierzulande. Aber ob nun vor Riesenleinwänden oder anderswo, lasst uns vorsichtig bleiben. Und lasst uns hoffen, dass uns die Roten Teufel zum Träumen bringen werden. Sie sind dazu in der Lage, sie haben den Antrieb, den es braucht, und sie haben die notwendige Erfahrung, damit wir uns am 11. Juli im Finale sehen, ist La Libre Belgique überzeugt.
Der ultimative Glücksimpfstoff?
"Weltmeisterschaft 2014 - Viertelfinale, Europameisterschaft 2016 - Viertelfinale, Weltmeisterschaft 2018 - Halbfinale, Europameisterschaft 2021 - Finale?", fragt sich beziehungsweise hofft auch L'Avenir. Rein nach der logischen Reihenbildung müsste das Finale am 11. Juli in Wembley das Mindeste sein, was die Roten Teufel erreichen werden. Eine Mannschaft wächst immer aus ihren Niederlagen. Aber genauso aus ihren Siegen. Und das gilt natürlich auch für Eden Hazard und seine Mannschaftskollegen. Das Team will endlich zu den Siegern gehören, so wie Spanien, Deutschland, Portugal oder Frankreich - alles Mannschaften, die Niederlagen erleiden mussten, bevor sie in den letzten zehn Jahren triumphieren konnten auf der Welt - beziehungsweise auf der europäischen Bühne. Belgien wird viele Zweifel ausräumen müssen in den kommenden Wochen. Und es muss heute Abend in Sankt Peterburg damit beginnen. Hoffentlich wird es eine schöne Reise, so L'Avenir.
Gazet van Antwerpen lässt in seinem Kommentar ebenfalls vergangene Triumphe und Dramen der Roten Teufel Revue passieren. Heute gibt es aber neben den Gegnern auf dem Platz noch einen anderen potenziellen Spielverderber. Der sorgt dafür, dass die Stadien nicht wirklich voll mit Fans sind; dafür, dass keine Horden verrückter belgischer Fans durch Europa reisen. Das ist schade. Leinwände hin oder her, diese EM werden wir vor allem brav in kleinen Kontaktblasen erleben müssen. Das ist sicher auch ein Grund, warum der Hype um das Turnier nur so träge in Gang gekommen ist. Aber vielleicht drücken wir gerade auch deswegen die Daumen dieses Mal besonders fest. Wir wollen Europameister werden. Damit wir in unseren schwarz-gelb-roten Blasen zehntausende festliche Mini-Delirien erleben dürfen. Damit wir die letzten 15 Monate vergessen können. Vielleicht wird die EM ja zu unserem ultimativen Glücksimpfstoff, wünscht sich Gazet van Antwerpen.
Flanderns Achillesverse
In den flämischen Zeitungen und Leitartikeln schlägt aber ansonsten der PFOS-Umweltskandal um die Firma 3M in der Gemeinde Zwijndrecht in der Provinz Antwerpen hohe Wellen. Abgesehen von den politischen Verwerfungen innerhalb der flämischen Regierung gibt es noch viel mehr Gründe, um beunruhigt zu sein, wettert etwa De Tijd. Vor allem die möglichen Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung durch die chemischen Verunreinigungen und die Besorgnis der Menschen. In dem betroffenen Gebiet, in dem die Bürger vorsichtig sein sollen mit dem Verzehr lokaler Produkte, lebt fast eine Million Menschen.
Außerdem ist noch völlig offen, welche möglicherweise weitreichenden Folgen die offenbar seit langem bekannten Missstände für andere Bereiche und Projekte haben könnten. Bei der flämischen Regierung liegen die Nerven deshalb ziemlich blank. Und die ganze Affäre illustriert einmal mehr, dass die Umwelt und das Klima die Achillesverse in allem zu sein scheinen, was Flandern tut, seufzt De Tijd.
Eine zerbrechliche Weltordnung
Le Soir schließlich greift den anstehenden Besuch von US-Präsident Joe Biden bei der EU und Nato auf. Und blickt dafür zunächst in die Vergangenheit: Die Zeugenaussagen in einer Arte-Dokumentation von Vertrauten Donald Trumps und von Menschen, mit denen Trump zusammengetroffen war, enthüllen die Schockstarre, die Destabilisierung, ja die Angst vor diesem amerikanischen Präsidenten 2018. Dieser Präsident, der die Ordnung der Welt auf den Kopf zu stellen drohte, als er seinem nationalen Sicherheitsberater am Rande des Nato-Gipfels offenbar allen Ernstes vorschlug, die Militärallianz zu verlassen.
Diese Geschehnisse zeigen uns, wie zerbrechlich die Ordnung unserer Welt doch ist, wie knapp wir manchmal Katastrophen gerade noch entgehen. Und sie bestätigen, dass es kein Gedankenspiel mehr ist, sondern Realität, dass ein unkontrollierbarer Staatschef die ganze Welt als Geisel nehmen kann. Und dass selbst seine engsten Vertrauten nicht in der Lage sind, ihn aufzuhalten, ihn davon abzuhalten, sein eigenes Land und seine Verbündeten in Gefahr zu bringen. Aber sie zeigen auch die Macht und Kraft der Institutionen: Trump ist nicht mehr Präsident und die Nato besteht weiter. Mit dem Wermutstropfen allerdings, dass die Trumps dieser Welt noch nicht ihr letztes Pulver verschossen haben und die Welt noch nicht immunisiert ist gegen ihre mögliche Rückkehr. Das ist noch ein Grund, diese Institutionen und ihre Legitimität zu stärken, wann immer es geht. Und die Vergangenheit unterstreicht auch, welches Glück die Europäer haben, dass jetzt Joe Biden da ist. Was aber nicht bedeutet, dass Europa seine strategische Emanzipation nicht beschleunigen muss. Denn deren krasse Abwesenheit bereitet den Boden für die Abhängigkeit der Union. Und verursacht damit deren größte und gefährlichste Schwachstelle, mahnt Le Soir.
Boris Schmidt