"Lasst Menschen selber wählen, wann sie sich impfen lassen", macht Gazet van Antwerpen mit einem Zitat des Verantwortlichen des Antwerpener Impfzentrums Spoor Oost auf. "Beke ist gegen flexiblere Impfplanung", packt Het Nieuwsblad die Reaktion des flämischen Gesundheitsministers auf seine Titelseite. "Politik hat nicht vor, Menschen selbst Impfdatum wählen zu lassen", titelt auch Het Laatste Nieuws.
Der Chef des Antwerpener Impfzentrums will also die Impfstrategie über den Haufen werfen, um dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen sich gegen das Coronavirus impfen lassen, rekapituliert Het Nieuwsblad. Dafür sollen alle über 18 Jahren selbst wählen dürfen, wann sie sich immunisieren lassen. Denn ansonsten würden uns große Probleme drohen. Die Reaktion der flämischen Gesundheitsagentur darauf war vernichtend – und unbegreiflich. Gleich eine ganze Batterie an Argumenten hat die Agentur aufgefahren, um zu zeigen, warum das keine gute Idee ist. Und wie so oft dient ein Übermaß an Argumenten dazu, um zu verschleiern, dass eigentlich keines der Argumente wirklich überzeugt. Die Einwände sind überholt und berücksichtigen nicht den tatsächlichen Stand der Dinge. Wir befinden uns in einer neuen Impfphase: Je jünger die Impfkandidaten, desto höher der Anteil der Impfverweigerer. Hier handelt es sich um einen Vorstoß, um dem Rechnung zu tragen – und er kommt aus einem Impfzentrum, in dem alles wie am Schnürchen läuft und von einem sehr erfahrenen Team. Allein das muss schon als Rechtfertigung reichen, um theoretische Impfmodelle zu ersetzen. Es ist ein altes bürokratisches Übel, zu glauben, dass man es von hinter einem Schreibtisch doch besser weiß. Ein Übel, das gerade in Corona-Zeiten besonders riskant ist, giftet Het Nieuwsblad.
Ein Impfzentrum ist kein Taubenschlag
Das sieht Gazet van Antwerpen anders und hebt den eigentlichen Grund für die Debatte hervor: Die Urlaubspläne vieler Menschen drohen zu Problemen bei den Impfungen zu führen. Eigentlich ist es doch ganz einfach: Der Drang nach Urlaub kann und darf der Impfung nicht im Weg stehen - egal wie wohlverdient und heißersehnt der Urlaub auch zweifelsohne ist. Die eine beziehungsweise meist zwei Spritzen sind schlicht essenziell für die eigene Gesundheit und die der anderen. Ein Impfzentrum ist kein Taubenschlag, in dem jeder nach Lust und Laune rein- und rausspazieren kann. Jeder, der die Impfung schon hinter sich hat, weiß, dass die Zentren gut geölte Maschinen sind. Und das erfordert eine ordentliche Vorbereitung und Organisation. Das alles über Bord zu werfen für die Aussicht auf Sonne und Meer ist keine Option. Dieser Vorschlag sollte dann erwogen werde, wenn alle Impfzentren im ganzen Land in der Lage sind, so eine Umstellung auch wirklich zu stemmen. Denn was auf gar keinen Fall passieren darf, ist, dass Menschen, die brav darauf warten, an die Reihe zu kommen, das Nachsehen haben, weil andere eine Impfung à la carte fordern, warnt Gazet van Antwerpen.
Neutralität, Scheinheiligkeit und Profilierung
Het Laatste Nieuws greift den jüngsten Kopftuchstreit auf: Der ist wie das Ungeheuer von Loch Ness – er taucht immer wieder auf und ab. Es ist eine Debatte, die wir nicht loswerden und die Politik, Parteien, aber auch die Gesellschaft spaltet. Dieses Mal geht es also um eine Jobanwärterin bei der Brüsseler Nahverkehrsgesellschaft STIB und um die neue Regierungskommissarin im Institut für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Und um einen Konflikt vor allem zwischen den frankophonen Liberalen von der MR und den Grünen von Ecolo. Die Äußerungen von MR-Chef Georges-Louis Bouchez für eine Neutralität des Staates nach französischem Vorbild haben zumindest den Vorteil, eindeutig zu sein. Denn wie inklusiv kann die Haltung der Grünen tatsächlich sein? Soll ein Beamter etwa ein T-Shirt mit einem flämischen Löwen darauf tragen dürfen? Oder ein Palästinensertuch am Schalter oder am Lehrerpult? Aber in der Debatte steckt auch eine gehörige Portion Scheinheiligkeit. So soll ein Kopftuch die Neutralität eines Regierungskommissars beschädigen. Aber das Parteibuch etwa nicht? Denn die Kommissare werden ja aus den Parteirängen ernannt. Und außerdem geht es in dieser Debatte natürlich auch um politische Profilierung, seufzt Het Laatste Nieuws.
Immer tiefer werdende Gräben
Das GrenzEcho schlägt den Bogen vom Kopftuchstreit zu einer ostbelgischen Polemik: In der DG erregen sich die Gemüter an einigen überaus fragwürdigen Facebook-Posts der Vivant-Vertreterin im BRF-Verwaltungsrat, die einen Zusammenhang zwischen der Verfolgung von Gegnern des Nazi-Regimes und der gefühlten Stigmatisierung von Impfgegnern herstellten. Die Hitzigkeit, mit der die Debatte geführt wird, zeigt, wie emotional überfrachtet das Thema der Freiwilligkeit der Impfung gegen das Coronavirus ist. Doch die Impfdebatte ist nur das Feld, auf dem eine ganz andere, viel tiefgreifendere gesellschaftliche Auseinandersetzung stattfindet. Es geht um den Widerstreit von individuellen und kollektiven Rechten. Wie tief darf der Staat in das Leben seiner Bürger eingreifen? Das Schlimmste ist allerdings, dass es offensichtlich keine oder kaum noch Bereitschaft gibt, über diese wichtigen Fragen zu debattieren und einen gesellschaftlichen Konsens zu finden. So steht man sich bei jedem Thema erneut diametral gegenüber, während die Gräben immer tiefer werden, beklagt das GrenzEcho.
Boris Schmidt