"Belgien ist gespaltener denn je", titelt La Dernière Heure. "Volle Krankenhäuser, volle Parks - Warum die Angst vor dem Virus nicht mehr länger motiviert", fragt sich De Standaard auf Seite eins. Denn am Freitag musste die Polizei im Bois de la Cambre wieder aktiv werden, um eine Eskalation zu verhindern. Am Donnerstag war es in dem Brüsseler Park ja zu schweren Zusammenstößen zwischen jugendlichen Partygängern und der Polizei gekommen. Dabei wurden Dutzende Menschen verletzt.
Die Vorfälle wurden jedenfalls allgemein verurteilt. "Unmut über gewalttätiges Massentreffen", schreibt das GrenzEcho. Viele Jugendliche sehen sich demgegenüber im Recht: "Wir hören nicht mehr, weil die Regierung schließlich selbst ihre Versprechen nicht einhält", zitiert De Morgen Vertreter der jungen Generation. "Ist der Geist der Rebellion aus der Flasche", fragt sich denn auch De Standaard im Innenteil.
Eine gespaltene Gesellschaft
So falsch das Ganze auch war, die Bilder aus dem Bois de la Cambre waren absolut vorhersehbar, analysiert Het Nieuwsblad. Es war ein kurzer, aber heftiger Vulkanausbruch, der sich aber durch Erdstöße angekündigt hatte. In Gent und Löwen hatte es ja vor einigen Tagen ähnliche Vorfälle gegeben, wenn auch nicht so grimmige. Nur: Slogans wie "Wir haben die Nase voll und wollen unsere Freiheit", die machen das Ganze nicht automatisch legitim oder nachvollziehbar. Davon abgesehen: Keine Generation hat das Monopol auf dieses "Nase voll-Gefühl". Wir alle sind es leid. Wobei man zugeben muss, dass die Situation für die jungen Menschen besonders schwierig ist, weil sie tatsächlich keine wirkliche Perspektive haben.
Wir sehen im Moment eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, meint auch Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Irgendwie kann man alle ein bisschen verstehen: Die Pflegekräfte, die angesichts der Bilder aus dem Bois de la Cambre an die Decke gegangen sind. Aber auch die Jugendlichen, die sich nach einem Jahr nicht mehr "einsperren" lassen wollen. Und auch die Menschen, die sich in den letzten Tagen darüber schwarzgeärgert haben, dass Jugendliche Plätze und Parks in regelrechte Müllhalden verwandelt haben. Eine gespaltene Gesellschaft eben... Und da helfen auch keine warmen Worte mehr. Andererseits kann man die Volksgesundheit aber auch nicht mit Schlagstöcken verteidigen. Deswegen drei Ratschläge. Erstens: Schürt keine falschen Hoffnungen! Zweitens: Fokussiert Euch nicht auf das, was man verbieten kann, sondern was möglich ist! Und drittens: Gebt Gas beim Impfen!
Die Volksgesundheit nicht mit dem Schlagstock verteidigen
"Die derzeitige "On-Off-Strategie", die funktioniert nicht mehr", glaubt L'Echo. Mal wird gelockert, dann werden die Schrauben dann doch wieder angezogen, das ist den Menschen nicht mehr zu verkaufen. Überall tun sich Risse auf. Nicht nur, dass die Menschen erschöpft sind, sie verstehen die Maßnahmen auch nicht mehr. Das mag damit zu tun haben, dass man beim letzten Konzertierungsausschuss nicht mehr ausschließlich einer sanitären Logik gefolgt ist, sondern es wohl eher um einen politischen Kuhhandel ging. Nur auf die Impfungen zu setzen, das wäre jedenfalls riskant. Nichts hindert die politischen Verantwortlichen daran, nach kreativen Lösungen zu suchen, um den Menschen wieder Hoffnung zu geben. Wenn der Preis für den Sieg gegen die Pandemie eine nationale Depression sein soll, dann wäre das gefährlich.
Der Solidarität ist die Puste ausgegangen, kann auch Le Soir nur feststellen. Es gibt Parallelen zwischen den Bildern aus dem Bois de la Cambre und den chaotischen Szenen aus den Zügen von vor einigen Tagen. Beides zeigt, wie sehr die Menschen nach Luft schnappen. Wie soll man diesen Flaschenhals regulieren? Wie soll man diese Emotionen in gesunde Bahnen lenken? Nun, indem man zunächst mal relativiert. Es gab nicht nur die Vorfälle im Bois de la Cambre. Überall ist der Frust greifbar. Damit verbunden sollte man - zweitens - nicht einzelne Bevölkerungsgruppen stigmatisieren, sondern im vorliegenden Fall für die Jugendlichen auch mal ein gewisses Verständnis aufbringen. Denn, dritter Punkt: Ansonsten droht uns eine noch größere Polarisierung, als die ohnehin schon zu beobachten ist. Die Lebenden gegen die Toten, die Jungen gegen die Alten, die Krankenhäuser gegen die Cafés, die Politik gegen die Bürger, Ich gegen den Rest der Welt. Gerade jetzt ist Solidarität wichtiger denn je.
Die Niederlande als Beispiel... und als Warnung
Einige flämische Zeitungen blicken in die Niederlande, wo der amtierende Premier Mark Rutte gerade mit Ach und Krach ein Misstrauensvotum überlebt hat. Weil er gelogen haben soll, hat er sogar bei seinen bisherigen Koalitionspartnern offensichtlich seine Glaubwürdigkeit verspielt.
In Belgien kann man sich ruhig mal eine Scheibe von den nördlichen Nachbarn abschneiden, meint De Morgen. Rutte hat also gelogen. So, so... Was in den Niederlanden ein Skandal ist, das ist hierzulande so normal wie Kaugummi kauen. Man könnte fast sagen, dass man in Belgien als Minister wenigstens einmal zünftig gelogen haben muss, um sich für höhere Weihen zu qualifizieren. Man denke nur an die Lüge über die "tanzenden Moslems" von Jan Jambon. Jetzt ist er flämischer Ministerpräsident. Hinzu kommt: Das niederländische Parlament hat in dieser Sache eine Debatte auf sehr hohem Niveau abgeliefert, etwas, was wir hierzulande auch nur selten sehen, weder auf der föderalen Ebene, und erst recht nicht in den Gemeinschaften und Regionen.
De Standaard empfiehlt dem belgischen Premierminister Alexander De Croo, sich genau anzuschauen, was gerade dem Kollegen Rutte widerfahren ist. De Croo hatte sich zunächst den Ruf eines Machers erarbeitet, hatte sich in der Corona-Krise als Vertrauensgarant profiliert. Doch die neuen Verschärfungen der Maßnahmen haben seiner blinkenden Rüstung schon eine ziemliche Delle verpasst. Und dann kam obendrauf noch die Saga um das fehlende Pandemie-Gesetz. Schon jetzt ist es schwer genug, die Motivation der Menschen aufrechtzuerhalten. Wenn der Wind einmal dreht, dann kann es schnell gehen. Das zeigt das Beispiel Rutte, und auch Leute wie Merkel oder Macron wissen ein Lied davon zu singen.
Von Lichtblicken
Gazet van Antwerpen sucht bei alledem fast schon verzweifelt nach einem Lichtblick. Wir erleben im Moment keine glücklichen Zeiten, meint das Blatt. Jetzt ist schon das zweite Krisenjahr angebrochen. Schon zum zweiten Mal erleben wir Ostern ohne ein Fest. Der Optimismus, der noch während der ersten Welle zu beobachten war, der hat sich längst verflüchtigt. Damals dachten wir noch, diese unselige Episode würde nach ein paar Wochen wieder hinter uns liegen. Ein Jahr später hat auch die Hoffnung einer schnellen Erlösung durch die Impfungen längst einen Dämpfer erhalten. Und obendrauf kommen dann noch die Bilder von Jugendlichen, die jeglichen Respekt gegenüber dem Krankenhauspersonal vermissen lassen. Aber, man sollte sich vor Verallgemeinerungen hüten. Trotz aller negativen Entwicklungen gibt es immer noch Menschen, die für andere sorgen und Menschen, die immer versuchen, das Beste draus zu machen. In diesem Sinne: ein frohes Osterfest...
Roger Pint