"Feldschlacht", titelt Het Nieuwsblad. "Ein Aprilscherz endet in einer Feldschlacht", schreibt auch Het Laatste Nieuws. "Brüsseler Revolution", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Im Brüsseler Bois-de-la-Cambre-Park ist es am Donnerstag zu schweren Zusammenstößen zwischen Teilnehmern einer Massenzusammenkunft und der Polizei gekommen. Am Anfang stand tatsächlich ein "Aprilscherz". Im Internet hatten Einladungen kursiert zu einem angeblichen "Festival" im Bois de la Cambre. Hunderte Menschen strömten in den Park im Süden von Brüssel. Irgendwann entschloss sich die Polizei, den Massenauflauf aufzulösen.
"Die falsche Party artet aus", so denn auch die Schlagzeile von La Libre Belgique. "Ein Aprilscherz schlägt in Gewalt um", schreibt La Dernière Heure. "Aprilscherz endet mit Wasserwerfern", so formuliert es De Standaard. L'Avenir nimmt die Initiatoren beim Wort und schreibt - frei nach Magritte: "Ceci n'est pas une boum!", "Dies ist keine Party." Anders gesagt: Das ist nicht mehr lustig, da dutzende Menschen verletzt wurden, darunter auch Polizisten, und 22 Personen festgenommen wurden.
Dummer Aprilscherz in Coronazeiten
"Wir leben in einer gespaltenen Welt und das ist ein beunruhigender Gedanke", stellt Gazet van Antwerpen nachdenklich fest. Auf der einen Seite laufen die Krankenhäuser wieder voll, liegen immer mehr schwer kranke Covid-Patienten auf den Intensivstationen, muss das übermüdete Pflegepersonal wieder zu Höchstleistungen auflaufen. Und währenddessen versammeln sich auf der anderen Seite tausende Jugendliche im Bois de la Cambre.
"Sie müssen einsehen, dass wir leben wollen", sagte eine junge Teilnehmerin. Naja, bis zu einem gewissen Maß tun wir das ja schon. Für diese jungen Menschen hat jetzt schon der zweite Corona-Frühling begonnen, ohne Klassenkameraden, ohne Hobbys, ohne Terrassen, ohne Festivals, ohne Freiheit... Dennoch: Was wir gestern im Bois de la Cambre gesehen haben, das war ein total deplatzierter, dummer Scherz. Was mag sich wohl das Krankenhauspersonal angesichts dieser Bilder gedacht haben?
Anstatt abzukühlen droht der Kessel überzukochen
Das Ganze darf in jedem Fall nicht ohne Folgen bleiben, ist La Dernière Heure überzeugt. Die Fiesta, die angeblich nur als harmloser Scherz gedacht war, ist völlig entgleist. Resultat: Bilder wie aus einem Krieg, Dutzende Verletzte. Da werden einige Leute Rechenschaft ablegen müssen. Angefangen bei den Organisatoren, die, als die Sache aus dem Ruder lief, einfach abgetaucht waren.
Auch die Teilnehmer sind nicht ohne Schuld. Denn sie wussten haargenau, dass sie gegen die geltenden Regeln verstießen. Doch auch die Regierungen des Landes müssen zu ihrer Verantwortung stehen, all jene, die unsere Freiheiten eingeschränkt haben. Klar hatten sie gute Gründe dafür, schließlich gilt es, eine dramatische sanitäre Krise einzudämmen. An die mentale Gesundheit der Bürger haben sie dabei aber nicht gedacht...
Die Osterferien sollten doch eigentlich für eine Abkühlung sorgen; stattdessen scheint der Kessel jetzt überzukochen, konstatiert Het Nieuwsblad. Da hilft nur noch eins: Man braucht ein Ventil, über das der Druck entweichen kann. Einfach nur wegzuschauen, in der Hoffnung, dass sich das Ganze schon wieder beruhigen wird und sich das Problem von alleine löst, nun, das kann sich noch rächen.
Überall Polizisten zu postieren, das kann aber nicht die Lösung sein. Auf der anderen Seite lässt die aktuelle Situation in den Krankenhäusern aber auch weitere Öffnungen nicht zu. Also: Wie kriegt man den Druck vom Kessel? Einfach nur einen Regentanz aufzuführen, in der Hoffnung, dass schlechtes Wetter die Menschen schon wieder in ihre Wohnungen treiben wird, das wird wohl nicht reichen...
Die Freiheit coachen, um allgemeinen Lockdown zu verhindern
Frankreich hat das Dilemma auf eine drastische Art und Weise gelöst, meint De Standaard: Im südlichen Nachbarland wird alles wieder zugemacht. Allgemeiner Lockdown. Wenn man in Belgien dieses Szenario verhindern will, dann kann man sich nicht mehr ausschließlich auf Einschränkungen und Verbote beschränken, dann wird man auch die Freiheit coachen müssen.
Beispiel Küste: Im vergangenen Jahr hat man es noch geschafft, die Menschenströme auf den Strandpromenaden und in den Zügen zu kanalisieren. Jetzt drohen alle plötzlich nur noch mit Schließungen, bzw. mit einer Begrenzung des Zugangebots. Weil man sich offensichtlich daran gewöhnt hat, gleich die äußersten Mittel in den Raum zu stellen.
Apropos: Der Konflikt zwischen der Regierung und der Nationalen Eisenbahngesellschaft SNCB scheint sich zuzuspitzen. Bahnchefin Sophie Dutordoir hatte am Donnerstag angedroht, notfalls den Zugverkehr in Richtung Küste zu stoppen, falls es bei der sogenannten "Fensterregel" bleibt. Die Antwort des zuständigen Mobilitätsministers Georges Gilkinet steht aber auf Seite eins von Le Soir: "Die 'Fensterregel' wird beibehalten", titelt das Blatt. Heißt also: In den Zügen Richtung Küste dürfen Erwachsene nur auf den Fensterplätzen sitzen. Ziel ist es schlicht und einfach, die Zahl der Zugreisenden zu beschränken.
Wir sehen hier einen veritablen Hahnenkampf, analysiert La Libre Belgique. Und hier geht es wohl nur teilweise um die Sache; der Streit zwischen der SNCB und der Regierung ist vor allem politischer Natur. Hinter den Kulissen wird nämlich gerade über einen neuen Geschäftsführungsvertrag für die Staatsbahn verhandelt. Und hier wird sich zeigen, ob den hehren Worten des grünen Mobilitätsministers auch Taten folgen werden, in Form eines wirklich ehrgeizigen Geschäftsführungsvertrags. Er wäre jedenfalls nicht der erste Minister, der sich an der Staatsbahn die Zähne ausbeißt.
Wo bleiben die Interessen der Ärmeren?
"Welchen Belgier haben unsere politisch Verantwortlichen eigentlich vor Augen, wenn sie ihre Entscheidungen treffen?", fragt sich Het Laatste Nieuws. Bleibt es bei dieser absurden Regel, dann droht am Ende kein Zug in Richtung Küste zu fahren. Dabei weisen Studien darauf hin, dass die Ansteckungsgefahr in Öffentlichen Verkehrsmittel nicht außergewöhnlich viel größer wäre. Und wer würde hier bestraft? Zweifelsohne diejenigen, denen es finanziell am schlechtesten geht, die keinen Garten, manchmal nicht einmal einen Balkon haben.
Doch scheint die Politik nur die Mittelklasse zu sehen; deren Lobbygruppen sind ja auch sichtbarer. Es wird höchste Zeit, dass man sich auch mal um die ärmeren, die nicht sichtbaren Belgier kümmert; die Belgier, die bald in den Zügen am Fenster sitzen werden. Ansonsten treibt man sie nur in die Arme von extremistischen Parteien...
Roger Pint