"Chaos rund um die Schließung der Kindergärten", so der Aufmacher bei Le Soir. "Kasperletheater im Parlament", titelt Het Laatste Nieuws zu einem Foto von Premierminister Alexander De Croo (OpenVLD) mit einer Pinocchio-Puppe, die er gestern in der Kammer vom Vlaams Belang bekommen hat. "Coronakrise: Strengere Regeln sorgen für politischen Ärger – Premier wehrt sich gegen Kritik", schreibt das GrenzEcho.
Dass die Opposition in der Kammer ihm am Tag nach der Verkündung einer vierwöchigen "Osterpause" bei den Lockerungsmaßnahmen wohl kaum zur Begrüßung Rosen vor die Füße werfen würde, damit musste Premier Alexander De Croo rechnen, kommentiert das GrenzEcho. Dass es aber Sperrfeuer gegen die neuerlichen Verschärfungen des Lockdowns aus den Reihen der eigenen Mehrheit geben würde, damit konnte er weniger rechnen. Die ohnehin brüchige Solidarität zwischen den Regierenden bröckelt vor laufenden Kameras. Das wäre in normalen Zeiten vielleicht verkraftbar. In einer Krise wie dieser ist eine solche Erosion allerdings existenzbedrohend.
Welche Glaubwürdigkeit hat ein Regierungschef, wenn er von der Bevölkerung seines Landes Solidarität und Durchhaltevermögen verlangt, während es hinter ihm dermaßen ihm Gebälk kracht, dass man seine Appelle kaum noch hören kann? Welche Manövrierfähigkeit hat De Croo noch als Kapitän des Dampfers Belgien, wenn er den Blick ständig nach hinten richten muss, um sicher zu sein, dass seine Matrosen ihn nicht auf der Brücke torpedieren?, fragt das GrenzEcho.
Konsequenzen ziehen
Der Preis für ein Jahr Coronakrise wird immer sichtbarer, hält Het Belang van Limburg fest. Beim abgekämpften Gesundheitspersonal, bei den mental erschöpften Bürgern und auch bei unseren Spitzenpolitikern, die anscheinend nicht mehr an einem Strang ziehen können. Ob im Konzertierungsausschuss, in der Rue de la Loi oder in der Kammer: Seit einigen Tagen scheint Krieg zu herrschen. Nach wochenlanger guter Miene zum bösen Spiel ist dem flämischen liberalen Premier De Croo und anderen OpenVLD-Parteikollegen jetzt der Kragen geplatzt über den frankophonen liberalen Parteivorsitzenden Bouchez von der MR. Und auch die sonst so gut geölte N-VA-Maschine scheint immer öfter Sand im Getriebe zu haben. Das sieht man an den Meinungsverschiedenheiten zwischen dem flämischen Ministerpräsidenten Jan Jambon, der ja mit im Konzertierungsausschuss sitzt, und seinem Bildungsminister und Parteikollegen Ben Weyts. Wer eine gemeinschaftlich getroffene Konsensvereinbarung hinterher nicht öffentlich verteidigen kann oder will, muss eben Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Egal, ob er nun Bouchez, Jambon oder Weyts heißt, fordert Het Belang van Limburg.
Wirrwarr und eine schlechte politische Operette
Seit dem Konzertierungsausschuss hat man vor allem ein Gefühl, meint L'Avenir: Was für ein Wirrwarr. Die politischen Querelen und die gemeinschaftspolitischen Schachzüge rund um das Unterrichtswesen erwecken den Eindruck, dass die Politik auch ein Jahr nach dem Ausbruch der Krise aus dem Bauch heraus entscheidet. Dass die Bevölkerung Probleme damit hat, alle Maßnahmen zu verstehen und zu akzeptieren, ist nachvollziehbar. Aber dass die Kritik auch aus den Reihen derjenigen kommt, die die Beschlüsse treffen, das ist doch beunruhigend. Das muss unvermeidlich die Zweifel daran nähren, dass diese Entscheidungen tatsächlich gut fundiert sind, warnt L'Avenir.
Wenn die Minister, die gerade erst gemeinsam Entscheidungen gefällt haben, anfangen, diese umgehend in Frage zu stellen, sobald sie den Saal verlassen haben, dann zerstören sie die Akzeptanz für diese Entscheidungen, beklagt auch Het Nieuwsblad. Persönlicher Profilierungsdrang statt edler Prinzipien, die die Politiker doch immer so laut ankündigen. Wenn es für die Eltern tagesfüllend wird, herauszufinden, was der letzte Stand in Sachen Unterricht und Kinderbetreuung ist, dann hilft eine schlechte politische Operette sicher nicht. Die Politik hat einmal mehr bewiesen, dass für sie der eigene Nabel das Allerwichtigste ist. Der Einzige, der den richtigen Ton getroffen hat, war Premierminister De Croo. Aber damit kann er nicht verhindern, dass sich die politisch Verantwortlichen des Landes gerade selbst zu einem kopflosen Wust degradieren, giftet Het Nieuwsblad.
Ein hinkender Kompromiss, der niemanden zufriedenstellt
Die Rechtfertigungen der Corona-Maßnahmen werden immer wackliger und sprunghafter, findet La Libre Belgique. Und die Strategie der politisch Verantwortlichen scheint immer stärker von politischen Hintergedanken diktiert zu werden – anstatt von gesundheitlichen Erwägungen. Jede Partei muss ihre Trophäe hochhalten können, wenn sie aus dem Konzertierungsausschuss kommt. Das Ergebnis ähnelt deswegen oft einem hinkenden Kompromiss, der am Ende niemanden zufriedenstellt. Das vergrößert die Ablehnung in der Bevölkerung und untergräbt die Motivation der Menschen, sich an die Regeln zu halten, so La Libre Belgique.
Le Soir vergleicht die Debatte um die Schulen und Kindergärten mit einem Heftpflaster. Wenn man das entfernen will, macht man das am besten schnell und in einem Zug. Das ist sauber. Und auch wenn es kurz wehtut, kann man dann das Thema abhaken und zu etwas anderem übergehen. Wie etwa bei der belgischen Entscheidung, weiter mit Astrazeneca zu impfen. Dieses Vorgehen auf ein so sensibles und politisches Thema wie das Unterrichtswesen zu übertragen ist natürlich komplizierter. Aber man erwartet doch zumindest von den Politikern, dass sie dazu beitragen, entsprechende schwierige Kompromisse auszuarbeiten – und sie dann auch zu verteidigen. Nicht nur, um die Erfolgschancen zu maximieren, sondern auch, um die Minister zu schützen, die danach wieder an ihre undankbare Arbeit müssen, schreibt Le Soir.
Boris Schmidt