"Der Sommer lacht uns entgegen", titelt Het Laatste Nieuws. Was damit gemeint ist, das steht auf Seite eins des GrenzEchos: "Belgien kann schneller impfen als gedacht", schreibt das Blatt. Und Gazet van Antwerpen wird dann ganz konkret: "Ab Juni kann jeder auf eine Impfung hoffen".
Die zuständige Taskforce hat die Impfstrategie optimiert. Eigentlich hat man den Plan den neuen Gegebenheiten angepasst. Unter anderem hatte sich ja herausgestellt, dass Pfizer-Biontech schneller Impfstoff liefern kann als ursprünglich gedacht. Die Impfkampagne kann also beschleunigt werden. Der neue Zeitplan ist ziemlich ehrgeizig. Nach den Alten- und Pflegeheimen, dem Krankenhauspersonal, den Hausärzten, den über 65-Jährigen und den Risikogruppen kommt demnach die breite Bevölkerung schon im Juni an die Reihe. Und das lässt hoffen auf einen doch halbwegs "normalen" Sommer. Mehr noch: "Die Herdenimmunität könnte im September erreicht werden", schreibt La Libre Belgique auf Seite eins. Das ist jedenfalls der Plan: Im September soll die Impfung von 70 Prozent der Bevölkerung abgeschlossen sein. "Gegen September kehrt die Normalität zurück", titelt denn auch Het Nieuwsblad. "Freiheit kommt in Sicht!", jubelt Gazet van Antwerpen im Innenteil. Auch Het Laatste Nieuws spricht vom "Weg in die Freiheit".
"Ode an die Freude"
"Endlich echte Perspektiven", freut sich auch Le Soir in seinem Leitartikel. Wie viele Fragen haben wir uns in den letzten Monaten stellen müssen: Wie können wir uns und unsere Angehörigen vor einer Ansteckung schützen? Und wie wird die Zukunft aussehen? Werden unsere Kinder noch einen Job finden, während doch tausende Arbeitsplätze vernichtet werden könnten? Bei alledem war die Ankündigung von Freitag fast schon ein Segen. Nach dem Sommer sollen 70 Prozent der Belgier geimpft sein! Endlich eine konkrete Hoffnung! Klar, die nächsten Monate werden noch schwer werden. Aber, wir können doch wieder damit anfangen, Pläne zu schmieden...
"Hurra!", jubelt sogar Het Belang van Limburg. Nach Monaten der Misere gibt es endlich mal wirklich gute Neuigkeiten von der Corona-Front: Die Impfkampagne kann beschleunigt werden. Für viele Menschen kommt diese Nachricht keine Minute zu früh. Wir sehen Licht am Ende des Tunnels, wir können wieder träumen. Aber, noch gibt es leider immer noch keinen Grund für überbordende Euphorie. Es gibt nämlich noch viel zu tun. Für viele Gemeinden war das am Freitag präsentierte Drehbuch noch völlig neu. Die landesweit geplanten 200 Impfzentren müssen erst noch eingerichtet werden. Und auch die Finanzierung ist noch nicht geklärt. Man soll den Tag eben nicht vor dem Abend loben.
"Halleluja", frohlockt aber auch erstmal Het Laatste Nieuws. Den Freitag kann man fast schon golden einrahmen. Erst kündigte die EU-Kommission den Ankauf von zusätzlichen 300 Millionen Dosen des Pfizer-Impfstoffes an; "Ode an die Freude". Und dann gab auch noch die zuständige Taskforce bekannt, dass die Impfkampagne in Belgien doch schneller ablaufen kann, als es der träge Start befürchten ließ. Allerdings: Ein Zeitplan macht noch keinen Frühling. Vieles muss erst noch in die Tat umgesetzt werden. Die Impfzentren müssen noch eingerichtet werden und man muss auch noch genau definieren, wer in welche Kategorie fällt, also wer zum Beispiel zu den "essentiellen" Berufsgruppen gezählt wird. Die zuständigen Politiker sollten sich anschnallen: In den nächsten Wochen muss sehr viel richtig gemacht werden.
"Scheitern verboten!"
Genauso sieht das auch De Standaard. Jetzt liegt der Druck auf den verschiedenen Gesundheitsministern des Landes. In nur wenigen Monaten muss eine Impfkampagne im Industriemaßstab möglich gemacht werden. Da wird man die Vorsicht zurückstellen müssen, wohlwissend, dass Fehler nicht erlaubt sind. Denn: Die Menschen sitzen auf glühenden Kohlen, die Wirtschaft auch. Und wir alle haben uns die Erlösung verdient: Entgegen aller Klischees haben sich die meisten der angeblich ach so anarchischen Belgier in den letzten Wochen brav an die Regeln gehalten. Für die Politiker dieses Landes ist die Impfkampagne eine historische Chance, um zu beweisen, dass sie uns Bürger verdient haben.
"Scheitern verboten", meint auch Gazet van Antwerpen. Für die Regierungen dieses Landes werden die nächsten Monate zur Feuerprobe. Die Impfkampagne muss laufen, alles andere wäre unverantwortlich im Lichte dessen, was auf dem Spiel steht. Die schwierigste Frage wird wohl, wie man mit der Übergangsphase umgehen wird, der Zeit also, in der es Geimpfte und Nicht-Geimpfte geben wird. Wie wird man die Maßnahmen lockern? Wie kann man etwa junge Menschen noch länger dazu zwingen, zuhause zu bleiben, wenn die älteren und schwächeren Menschen einmal geimpft sind? Was wird mit Musik-Festivals sein? Aber, gut, vielleicht sind das ja Luxusprobleme. Wir müssen erstmal über den Winter kommen.
Von Wilden Zwanzigern und eigenen Nasenspitzen
Die Föderalregierung kann indes an diesem Wochenende 100 Kerzen ausblasen: Seit 100 Tagen ist das neue Kabinett im Amt. Und die neue Equipe hat einen doch respektablen Start hingelegt, lobt Het Nieuwsblad. Schließlich gab's ja keine Schonfrist - die neue Regierung musste sich gleich mit der Corona-Krise beschäftigen. Aber: Unter der Decke brodelt es. Wir sehen hier dieselben Spannungen und politischen Spielchen wie früher. Dabei hatte die Vivaldi-Koalition doch eigentlich einen neuen Umgangston versprochen, eine neue politische Kultur. Es reicht aber nicht, feierliche Erklärungen abzulegen und gegen Polarisierung zu predigen, man muss das auch im Alltag unter Beweis stellen, den Worten Taten folgen lassen. Denn, das wird nötig sein, wenn man die vorangegangenen 500 Tage des Stillstands und der Zwietracht vergessen machen will.
Ehre, wem Ehre gebührt, meint sinngemäß De Tijd: Zwar hat auch diese neue Regierung in ihren ersten 100 Tagen den einen oder anderen Fehler gemacht, manchmal zu spät reagiert. Aber im Großen und Ganzen hat das Tandem De Croo-Vandenbroucke die sanitäre Krise besser gemanagt als ihre Vorgänger. Die Vorbereitung der Post-Corona-Periode, das wird allerdings ein anderes Paar Schuhe. Hier wird es erstmal darum gehen, die Wirtschaft zum richtigen Zeitpunkt aus dem Wachkoma zu holen. Dann braucht man aber auch gleich einen entschlossenen Wiederbelebungs-Plan, der zielgerichtet den am schlimmsten gebeutelten Sektoren hilft. Und in diesem Zusammenhang ist es einfach nur traurig, dass jetzt gleich wieder ein Streit entbrannt ist über die innerbelgische Verteilung der EU-Hilfen. Um diese knapp sechs Milliarden Euro liefern sich die Regionen und der Föderalstaat ein würdeloses Tauziehen. Und hier werden dann gleich wieder die Unzulänglichkeiten des derzeitigen Staatsgefüges sichtbar. Wenn wir neue "Wilde Zwanziger" erleben wollen, dann müssen wir noch diverses Geplänkel hinter uns lassen.
La Libre Belgique sieht das genauso. Wieder einmal zeigen sich die Fehler im belgischen System, wieder streiten sich die Regionen um die Kuchenstücke. Das ist einfach nur eine Schande. Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass ein vor allem von Flandern getragenes Projekt auch für die Wallonie oder Brüssel profitabel sein kann? Oder umgekehrt. Kann man nicht im Angesicht einer großen Wirtschaftskrise mal etwas weiter sehen als bis zur eigenen Nasenspitze? Es ist Belgien, das das Geld braucht, Belgien muss in die Zukunft investieren. Und das bedeutet, dass man auch mal einen Strich unter die Vergangenheit ziehen muss. Im Namen des Gemeinwohls.
Roger Pint