"Startschuss für Massenimpfung in Belgien", so die Schlagzeile von L'Echo. "Heute geht es richtig los", schreibt das GrenzEcho. "Alles, was sie über die Impfkampagne wissen müssen", verspricht La Libre Belgique auf Seite eins.
Eigentlich sind ja schon die ersten Belgier geimpft worden. Das war Anfang letzter Woche. Nur war das ja allenfalls ein symbolischer Auftakt. Heute fällt der richtige Startschuss. Die wirkliche Impfkampagne beginnt. Erstmal werden ja die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen geimpft.
Gaston Geens würde sich im Grab umdrehen
Doch es gibt auch schon erste Misstöne: "Das medizinische Personal will prioritär behandelt werden", schreibt Le Soir auf Seite eins. Das Problem ist, dass nicht so viel Impfstoff zur Verfügung steht, wie ursprünglich gedacht. Und deswegen muss man Prioritäten setzen. Nur sind Ärzte und Pflegekräfte der Ansicht, dass sie eigentlich zuerst an die Reihe kommen müssten; auch mit Blick auf eine mögliche dritte Welle.
"Flandern impft am langsamsten", schreibt derweil Het Nieuwsblad. Anscheinend werden in der Wallonie in dieser Woche fast doppelt so viele Chargen verimpft wie in Flandern. "Aber Flandern steht zu seiner langsamen, aber sicheren Impfstrategie", schreibt Het Laatste Nieuws. "Und in der nächsten Woche wird einen Gang höher geschaltet", fügt Gazet van Antwerpen hinzu.
Und doch sorgt das Tempo der Impfkampagne insbesondere in Flandern für harsche Kritik. "Wie steht es eigentlich um die Impfdosen, die nach Flandern geliefert wurden?", fragt sich rhetorisch Het Nieuwsblad. Nun, die liegen in der Tiefkühltruhe. Und der wohl schlimmste Affront für die flämische Regierung: In der Wallonie wird doppelt so schnell geimpft. Der erste flämische Ministerpräsident Gaston Geens dürfte sich im Grab herumdrehen; der Mann, der einen berühmten Satz geprägt hat, der seither als Richtschnur für die flämische Politik gilt: "Wir werden beweisen müssen, dass wir das, was wir selbst machen, besser machen", hatte Geens gesagt. Nur das tun wir im Moment nicht. Für die politisch Verantwortlichen kann sich das als Sargnagel erweisen. Nach dem Schleuderkurs der letzten zehn Monate muss Flandern es vielleicht nicht besser machen, aber zumindest genauso gut wie die anderen. Selbst das schaffen wir im Moment nicht...
Belgien muss bei der Impfstrategie auf die Tube drücken!
Unseren politisch Verantwortlichen fehlt offensichtlich der Sinn für die Dringlichkeit, kritisiert auch Gazet van Antwerpen. Klar: Man will ja eigentlich nur so gründlich und vorsichtig wie möglich vorgehen. Und das ist auch wichtig. Aber angesichts der Opfer, die die Bevölkerung bringen musste, könnte die Nervosität in den zuständigen Stellen ruhig ein bisschen größer sein, um die Impfkampagne mit absolut maximalem Tempo voranzutreiben.
"Die belgische Impfstrategie ist insgesamt zu langsam!", rügt Het Laatste Nieuws. In anderen Ländern ist man schon viel weiter. Israel hat schon 1,3 Millionen Menschen geimpft; Großbritannien knapp eine Million. Und Belgien gerade mal "stolze" 700. Gut, das ist immer noch besser als die Niederlande, bei denen bislang noch eine glatte Null auf dem Zähler steht. Warum geht das hier so langsam? "Das sei noch die Testphase", hieß es zur Begründung. Ach so? War das nicht der symbolische Auftakt in der vergangenen Woche? Was war das denn? Die "Vor-Testphase"? Und wie lange will man noch testen, während die neue Variante um sich greift? Das muss besser werden! "Plus est en nous!" In uns steckt mehr!
L'Echo sieht das genauso. Warum in Gottes Namen läuft die Impfkampagne hierzulande so langsam an? Denn es ist nicht so, als wäre keine Eile geboten. Bleibt es bei dem Tempo, dann sind die angestrebten 70 Prozent der Bevölkerung frühestens im Oktober geimpft. Bis dahin hatten wir wohl schon den dritten und den vierten Lockdown. Und man kann das nicht nur durch die langsame Lieferung der Impfdosen erklären. Das Problem in Belgien sind der aufgeblasene Verwaltungsapparat, die lähmende Bürokratie, die sich überlappenden Zuständigkeiten. All das hat unter anderem schon zu der inzwischen traurig-legendären Maskensaga geführt. Die Pharmakonzerne haben in Rekordzeit einen Impfstoff auf den Markt gebracht; das Ganze darf jetzt nicht an einem unfähigen Staat scheitern.
Ein Sieg für Assange, aber nicht für die Pressefreiheit
Einige Zeitungen beschäftigen sich auch mit dem Urteil im Fall Assange. Ein Londoner Gericht hat entschieden, dass der Gründer der Plattform Wikileaks nicht an die USA ausgeliefert werden darf.
Vier Tage nach dem Brexit hat die britische Justiz jedenfalls insbesondere dem traditionellen Verbündeten USA eine eindrucksvolle Lektion in Sachen Unabhängigkeit erteilt, glaubt La Libre Belgique. Das ist nicht das Ende der Prozeduren gegen Julian Assange, aber ein wichtiger Sieg für ihn und seine Sympathisanten.
"Nach einem zehnjährigen Kreuzweg ist das endlich mal ein Lichtblick", freut sich auch Le Soir. Man muss Julian Assange nicht mögen, man kann auch ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Enthüllungsplattform Wikileaks haben, hier geht es aber um mehr. Hier geht es um die Pressefreiheit und den Schutz von Whistleblowern. Wenn Assange seit zehn Jahren seiner Freiheit beraubt ist, dann nur, weil er vertrauliche Dokumente veröffentlicht hat, die Fehlschläge der US-geführten Koalition in Afghanistan und im Irak enthüllten. Warum jagt man einen Journalisten, und nicht etwa den ehemaligen US-Präsidenten George W. Bush, der die USA damals in den illegalen und mörderischen Krieg im Irak geführt hat?
Leider hat das Londoner Gericht aber kein starkes Signal für die Pressefreiheit gesetzt, meint das GrenzEcho. Als Begründung für die Nicht-Auslieferung Assanges wurde lediglich sein psychiatrischer Gesundheitszustand genannt. Das ist zumindest menschlich, dem in vielen Ländern der Welt in Bedrängnis geratenen Investigativ-Journalismus wird das aber nicht den Rücken stärken. Guter Journalismus hat eine wichtige demokratische Funktion. Der Mut, der viele investigative Journalisten auszeichnet, dieser Mut hat der Londoner Richterin gefehlt...
Roger Pint