"Es ist der EU-Gipfel der Reizthemen", titelt La Libre Belgique. "Deal oder No-Deal? Die Entscheidung fällt spätestens am Sonntag," so die Schlagzeile von Le Soir. "Ein harter Brexit scheint unvermeidlich", schreibt De Morgen auf Seite eins.
Heute kommen die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel zu einem mit Spannung erwarteten Gipfeltreffen zusammen. Die Tagesordnung ist gespickt mit schwierigen Programmpunkten: Es geht um den Haushaltsstreit, den Klimaschutz und vor allem um den Brexit.
"Die EU muss ihren Prinzipien treu bleiben"
"Der komplizierteste Gipfel seit Jahren", notiert denn auch Het Belang van Limburg im Innenteil. Gerade in Sachen Brexit ist Streit vorprogrammiert: Die Position von Großbritannien und die der EU liegen in zentralen Punkten immer noch weit auseinander.
Daran hat auch ein gemeinsames Abendessen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem britischen Premier Boris Johnson nichts geändert. Eigentlich ist nicht ersichtlich, wie sich beide Seiten da noch einigen sollen. "Bei einem No-Deal drohen aber hohe Zollschranken", warnt das GrenzEcho.
"Die EU muss ihren Prinzipien treu bleiben!", fordert De Standaard in seinem Leitartikel. Das gilt für die beiden großen Themen, die die Staatengemeinschaft in diesen Tagen beschäftigen. Zunächst im Haushaltsstreit: Ungarn und Polen blockieren den Haushalt, weil sie eine Kopplung der EU-Zahlungen an den Respekt von Rechtsstaatlichkeitsprinzipien ablehnen.
Und die Briten wollen immer noch nicht einsehen, dass man nicht zugleich drinnen und draußen sein kann. In beiden Fällen muss die EU hart bleiben, meint De Standaard. Das Aushöhlen der demokratischen Grundprinzipien wie Pressefreiheit oder Gewaltentrennung, wie das in Polen und Ungarn passiert, ist schlichtweg inakzeptabel. Und den Briten gegenüber kann man keine Zugeständnisse machen, auf die Gefahr hin, den Binnenmarkt ad absurdum zu führen.
Aus einem Waterloo ein Trafalgar machen
Das GrenzEcho sieht das ähnlich. Wobei die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Blockade von Ungarn und Polen erst mal abgewendet zu haben scheint. Ihr Kompromissvorschlag scheint allerdings den ursprünglichen Entwurf weiter auszuhöhlen. Das EU-Parlament wird aber nicht noch mehr Kreide fressen wollen. Hier droht ein handfester Konflikt zwischen den Institutionen.
Der eigentliche Höhepunkt des Gipfels, das dürfte aber der Auftritt des britischen Premierministers Boris Johnson werden. Sollte es nicht zu einer Einigung über die künftigen Handelsbeziehungen kommen, dann gehen bald buchstäblich die Schlagbäume runter. Die EU wird aber keine Konzessionen machen in Bezug auf den fairen Wettbewerb. In Brüssel droht Johnson ein Waterloo. Als fleißiger Trump-Schüler wird er daraus aber ein "Trafalgar" machen, einen Sieg.
"Menschen sind und bleiben eben Menschen"
"Schränken Sie ihre Fortbewegungen ein!", so derweil der Appell auf der Titelseite von Gazet van Antwerpen. Besorgnis macht sich breit, denn die Corona-Zahlen stagnieren. Stellenweise steigen sie sogar wieder. Hauptgrund ist wohl, dass die Menschen wieder leichtsinniger werden.
Het Laatste Nieuws bringt hierzu eine doch drastische Titelseite: "Alle 14 Minuten stirbt ein Mensch an Covid-19. Würde die Polizei nicht eingreifen, wenn bei einer Geiselnahme alle 14 Minuten ein Mensch getötet würde?".
In einigen Provinzen wurde jedenfalls Nulltoleranz ausgerufen. "Selbst Drohnen sollen eingesetzt werden, um die Zahlen zu drücken", schreibt Het Laatste Nieuws.
Verzweifelt versuchen die Gesundheitsexperten zu ermitteln, warum die Zahlen stagnieren. Weniger Homeoffice? Die Aussicht auf einen Impfstoff? Ein allgemeines Nase-voll-Gefühl? Es ist wohl ein bisschen von allem, meint De Morgen.
Menschen sind und bleiben Menschen. Unser Gehirn ist einfach nicht dafür gemacht, komplexe, kollektive Risiken über einen längeren Zeitraum einzuschätzen. Lieber üben wir uns in Zweckoptimismus. Wenn das aber zu viele gleichzeitig machen, haben wir ein Problem.
Das viel beschworene "Team der 11 Millionen Belgier" braucht jetzt Motivation. Die Trainer müssen die Mannschaft anspornen und aufs Neue erklären, warum die Maßnahmen so wichtig sind - statt allein mit Strafen zu drohen.
Gottesdienste - "Eine Lösung, die keine ist"
Ein Urteil des Staatsrates scheint diese Anstrengungen aber zu unterlaufen. Demnach dürfen Gottesdienste nicht verboten werden - im Namen der Menschenrechte. Gottesdienste mit bis zu 15 Personen sollen also wieder erlaubt werden.
"Das wäre eine Lösung, die keine ist", kritisiert Gazet van Antwerpen. Aus dem einfachen Grund, dass man dieses Problem im Moment nicht lösen kann. Auf der einen Seite ist es gut, dass der Staatsrat auch in diesen Corona-Zeiten über die Wahrung der Menschenrechte wacht.
Auf der anderen Seite sterben jeden Tag Menschen an Covid-19. Von den Glaubensgemeinschaften hätte man sich gewünscht, dass sie nach kreativen Lösungen für ihre Gottesdienste suchen, statt die Volksgesundheit in Gefahr zu bringen.
Het Nieuwsblad nennt den Entscheid des Staatsrates sogar "bedenklich". Das Gericht scheint die Verfassung und auch die Menschenrechte zwar aus dem Effeff zu kennen, von der Verbreitung des Virus hat es aber keine Ahnung.
Gerade Gottesdienste haben sich überall in der Welt als potentielle Krankheitsherde erwiesen. Man hätte sich mehr Augenmaß vom Staatsrat gewünscht: Das Recht auf Religionsfreiheit hätte aufgewogen werden müssen mit dem Gesundheitsschutz.
Schuld sind aber in erster Linie die Kläger. Man hätte den Staatsrat nie dazu zwingen dürfen, sich über diese Frage auszusprechen. Hier zeigt sich vor allem ein flagranter Mangel an Solidarität.
Corona-Notgesetz ist notwendig
Das Urteil wirft grundsätzliche Fragen auf, meint Het Laatste Nieuws. Steht die Religionsfreiheit über dem Allgemeinwohl? Eigentlich geht die Freiheit des einen doch nur so weit, bis die des anderen eingeschränkt wird.
Jetzt liegt es vor allem an der Regierung, ihre Maßnahmen klar und deutlich darzulegen. Warum etwa sind die Schwimmbäder offen, waren aber die Gotteshäuser geschlossen? Offensichtliche Willkür sorgt nicht unbedingt für breite Akzeptanz.
Es gibt da aber eine einfache Lösung, meint De Tijd: Wir brauchen ein Corona-Notgesetz. Die Eindämmung der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Regeln sind wichtig. Bürgerrechte sind das aber auch. Um diese komplexe Gleichung lösbar zu machen und auch den Eindruck von Willkür zu vermeiden, braucht man einen verbindlichen Rechtsrahmen. Der muss freilich ausdrücklich zeitlich begrenzt sein, damit aus einem Ausnahmezustand nicht die Normalität wird.
Roger Pint