"Flandern schränkt Kultur, Sport und Unterhaltung ein", schreibt De Tijd auf Seite eins. "Das Haus steht in Flammen, aber die Löscharbeiten beginnen erst Freitagabend", titelt De Standaard. "'Hoffentlich wird das reichen'", zitiert Het Belang van Limburg den Biostatistiker Geert Molenberghs. Am Abend hat die flämische Regierung beschlossen, auch im Norden des Landes strengere Corona-Schutzmaßregeln einzuführen – diese treten Freitagabend in Kraft. Damit folgt Flandern teilweise der Wallonie und Brüssel, die die Auflagen bereits verschärft haben.
"Wat we zelf doen…"
Jetzt hat auch Flandern reagiert, hält De Morgen fest. Unter dem Druck der Zahlen und Notrufe aus den Krankenhäusern. Und es war wirklich an der Zeit. Eine Alarmglocke nach der anderen hat im letzten Monat geläutet, aber die flämische Regierung hat eine Chance nach der anderen verpasst, der Bevölkerung durch gezieltes Eingreifen den Ernst der Lage bewusst zu machen. Spätestens seit der Änderung der Teststrategie, die asymptomatische Verdachtsfälle außen vor lässt, waren einschneidende Maßnahmen unvermeidlich. Ja, eine gewisse Improvisation bei der Führung ist durch das Chaos der Corona-Krise unvermeidlich. Aber die Linie der flämischen Regierung ist schlicht nicht vorhanden. Jetzt führt Jambon das ein, was er letzten Freitag im Konzertierungsausschuss noch blockiert hat. Und dann auch noch erst ab Freitag. Vielleicht sollte er das Virus bitten, bis dahin doch noch vor der Tür zu warten. Vielleicht hängt das Ausmaß der neuen Corona-Welle dann doch nicht nur von unser aller Verhalten ab. Sondern vielleicht auch von der zögerlichen und wirren Führung.
Die Kehrtwende von Jambon ist jetzt eine Tatsache, konstatiert auch Het Belang van Limburg. Selbst er konnte die Realität der Corona-Situation nicht mehr verleugnen und musste doch strengere Maßnahmen ergreifen. Bei seinem Umherirren spielt sicher auch eine Rolle, dass er und seine Partei, die N-VA, den Kampf gegen Corona auch als ideologischen Kampf sehen, in dem die "linke" Wallonie und Brüssel den Bösewicht geben müssen. Der allererste flämische Ministerpräsident Gaston Geens hat einst den Spruch geprägt "Wat we zelf doen, doen we beter" (was wir selbst machen, machen wir besser). Ausgerechnet in der größten Gesundheitskrise der Geschichte beweist Flandern wieder einmal das Gegenteil.
Bis Freitag zu warten, ist reichlich spät, kommentiert Het Nieuwsblad. Aber es ist kein Zufall. Am Freitagabend beginnen die Ferien. Und damit wird sowohl beim Unterrichtswesen, als auch in der Wirtschaft etwas Druck vom Kessel genommen. Bis dahin muss die flämische Feuerwehr noch in ihrer Kaserne bleiben. Und das große Problem ist, dass wir in dieser Krise weiter auf die Feuerwehr angewiesen bleiben werden, die erst dann anrückt, wenn die Flammen schon durchs Dach schlagen. Weil wir kein Sprinklersystem aus Schnelltests, Nachverfolgung und strengerer Durchsetzung der Maßnahmen haben, das aufflackernde Feuer schnell löschen könnte.
Jede Stunde zählt
Die Verschärfung kommt eigentlich zu spät, beklagt auch Gazet van Antwerpen. Drei Tage sind in dieser Krise eine Ewigkeit. Jede Stunde zählt, gerade in dem Land mit den schlechtesten Corona-Zahlen in ganz Europa. Neben politischen und organisatorischen Versäumnissen und einer schlechten Kommunikation sind aber auch die Belgier und ihr Verhalten mit Schuld an der Lage, in der wir uns jetzt wieder befinden. Noch immer agieren viele Menschen vollkommen verantwortungslos. Ist die Situation jetzt endlich schlimm genug, um alle auf Linie zu bringen? Ach ja, und niemand muss im Übrigen jetzt noch die drei Tage abwarten, bis die Maßnahmen in Flandern gelten. Jeder kann schon jetzt sofort damit beginnen, zusätzliche Anstrengungen zu machen.
Ja, Belgien steht nicht gut da in der Krise, schreibt allgemeiner das GrenzEcho unter Bezug auf die neuen Corona-Rekordwerte. Das ist auch schon anderen passiert oder es widerfährt ihnen gerade. Gerade jetzt kommt es darauf an, uns gemeinsam anzustrengen und noch einmal den Gürtel enger zu schnallen. Auch wenn es schon das zweite oder gar dritte Mal ist. Die Zeit abzurechnen wird kommen. Jetzt ist die Zeit, zu handeln und zu seinem Handeln zu stehen, auch wenn es mit jedem Mal schwerer fällt, wieder aufzustehen und weiterzumachen.
"Lektionen der Demut"
Le Soir fasst in seinem Leitartikel fünf "Lektionen der Demut" zusammen, die die belgischen Politiker aller Machtebenen aus der aktuellen Lage ziehen sollten. Erstens schert sich eine Epidemie nicht um Grenzen, weder zwischen Ländern, noch Regionen. Zweitens managt man eine Krise nicht, indem man mit dem Finger auf andere zeigt. Stattdessen muss man sich um das kümmern, was bei einem selbst gerade passiert. Drittens: Man hört auf die Wissenschaft und Experten, die sich mit der Materie auskennen. Viertens: Man hört auf die Menschen vor Ort. Also die Krankenhaus- und Schuldirektoren, Notärzte, Krankenpfleger, Hausärzte, Bürgermeister und Gouverneure. Sie haben schon seit Wochen Alarm geschlagen. Und schließlich fünftens: Es braucht eine einheitliche Führung. Deswegen muss Premier De Croo diesen Freitag beim Konzertierungsausschuss die Zügel in die Hand nehmen und müssen alle Beteiligten gemeinsam am gleichen Strang ziehen. Vielleicht, um einen allgemeinen Lockdown zu beschließen. Wer weiter Spaltungen verursacht, verhält sich unverantwortlich und macht sich schuldig.
De Standaard schließlich erinnert daran, dass es bald ein Jahr her sein wird, dass in der chinesischen Stadt Wuhan ein mutiertes Virus vom Tier auf den Menschen übertragen worden ist. Inzwischen können die Chinesen wieder feiern, shoppen und reisen. Auch ihre Wirtschaft wächst. So bitter es klingt, aber wenn China ein offenes und transparentes Land wäre, wäre der Welt diese Pandemie vielleicht erspart geblieben. Durch sein autoritäres Regierungssystem hat China es aber auch geschafft, die Lage im eigenen Land wieder unter Kontrolle zu bringen. Demokratische Länder haben es hingegen nicht geschafft, eine zweite Corona-Welle zu verhindern. Viel zu oft sind im Zusammenhang mit dieser Krise schon Kriegsmetaphern gebraucht worden. Und seien wir ehrlich: Verwüstungen wie in einem Krieg sind etwas ganz anderes. Aber dennoch sollten wir nicht blind sein für die Lehren der Vergangenheit. Der Erste Weltkrieg brachte drei jahrhundertealten Imperien das Ende. Der zweite bedeutete das Ende der Vormachtstellung Europas und den Aufstieg der USA. Auch die Corona-Krise kann die Machtbalance in der Welt ins Wanken bringen. Je länger der Westen mit dem Virus ringt, während China wieder wächst, desto größer wird das Risiko, dass aus dem Stillstand ein uneinholbarer Rückstand wird. Und dann gerät unsere Art und Weise zu leben wirklich unter Druck.
Boris Schmidt