"Der ganze Druck lastet jetzt auf Egbert Lachaert", titelt Het Belang van Limburg. "Allein ins politische Minenfeld", schreiben das GrenzEcho und auch De Standaard. "Lachaert darf es nun selbst lösen", so die Schlagzeile von Het Nieuwsblad.
Der König hat gestern den Open-VLD-Vorsitzenden Egbert Lachaert mit einer neuen Mission betraut. Er folgt auf die beiden Vorregierungsbildner Bart De Wever und Paul Magnette. Lachaert selbst hat keinen besonderen "Titel" bekommen. L'Avenir hat das quasi nachgeholt: "Egbert Lachaert, der Mann der letzten Chance". Denn: Wenn auch diese Mission scheitert, dann führt wohl kein Weg an Neuwahlen vorbei.
Unübertroffene politische Reality-Show
Die Liberalen und insbesondere die Open VLD waren zuletzt das Zünglein an der Waage. Am Ende verweigerten sie den Vorregierungsbildnern die Gefolgschaft. "Der König lässt Lachaert jetzt selbst aussuchen, ob es nun lila-gelb oder lila-grün sein soll", notiert L'Echo auf Seite eins. "Lachaert hat zehn Tage, um Farbe zu bekennen", meint auch De Morgen. Nach Informationen von Het Laatste Nieuws hat sich seine Partei schon entschieden: "Die Open VLD optiert für die Grünen", schreibt das Blatt auf Seite eins.
Diese politische Reality-Show ist unübertroffen, giftet zynisch De Standaard. In der letzten, wieder einmal meisterhaften Episode hat der König den Buhmann vom Dienst jetzt ins Zentrum des Spiels gestellt. Egbert Lachaert ist das ganze Wochenende lang fast schon mit Schwarzen Petern beworfen worden. Jetzt muss der junge, unerfahrene Vorsitzende einer kleinen Partei in die Arena. Noch dazu allein. Die Zeit der Tandems ist offensichtlich vorbei. Egbert Lachaert hat in den letzten Tagen oft gesagt, was er nicht will. Jetzt liegt es an ihm, den Knoten zu lösen.
Vom Schoßhündchen-Image zum Boss
Für Lachaert ist das auch eine Chance, glaubt Het Belang van Limburg. Er kann diese Mission nutzen, um sein Image aufzupolieren. Im Moment steht da nämlich ein desaströses Bild im Raum, das Bild von Lachaert als das Schoßhündchen von Georges-Louis Bouchez. Jetzt ist Lachaert der Boss; und in dieser Eigenschaft kann er auch den MR-Kollegen zurückpfeifen. Sein Erfolg hängt natürlich immer noch davon ab, dass alle Beteiligten ihren Trotz hinter sich lassen.
La Libre Belgique findet lobende Worte für die Benennung des Open-VLD-Vorsitzenden zum Königlichen Beauftragten. Erstens: Auf diese Weise bleiben alle Optionen offen; keine Partei wird von vornherein ausgeschlossen. Zweitens: Lachaert kann in den beiden zentralen Kapiteln der Verhandlungen die nötigen Nuancen anbringen. Sowohl in sozialwirtschaftlichen als auch in institutionellen Belangen haben die Liberalen eigene Vorstellungen. Das Ergebnis kann also eine ausgewogene Synthese sein. Dritter, nicht unerheblicher Punkt: Lachaert ist einer der wenigen, die nicht polarisieren. Er kommt in der Regel ohne billige Provokationen aus. In diesen Zeiten ist das durchaus ein großer Pluspunkt. Soweit ist es schon gekommen.
"Land am Abgrund"
Auch Het Nieuwsblad findet die Entscheidung des Palastes "nicht unlogisch". Der Tango zwischen N-VA und PS war auf eine blaue Mauer gestoßen. Dass der Palast nun Egbert Lachaert in die Arena schickt, das hat wohl auch etwas von einer Bestrafung. In jedem Fall ist es ein vergiftetes Geschenk. Missglückt diese Mission, dann wird die Open VLD bis zum Ende aller Tage mit dem Schwarzen Peter dastehen. Nur ihr wird man die Schuld daran geben, dass keine Regierung zustande gekommen ist. Beim Schachspiel kommt es selten vor, dass es der König ist, der ins Schach setzt. In der belgischen Politik ist das dagegen durchaus möglich.
Einige Zeitungen warnen aber davor, dass die Bürger inzwischen mit ihrer Geduld am Ende sind. Lachaert ist schon der 19. Beauftragte, der seit der Wahl die Arena betreten hat. Die meisten Menschen hatten wohl schon beim fünften Informator abgehakt. Das Interesse der Bürger an der Politik geht inzwischen gegen Null, glaubt Gazet van Antwerpen. Die Gefahr ist groß, dass viele sich den Extremen zuwenden.
Das GrenzEcho sieht das ähnlich. Dieses Land leidet weniger an der Corona-Krise oder an seiner unfertigen Staatsstruktur, sondern vielmehr an der Unfähigkeit seiner politischen Verantwortlichen. Egbert Lachaert hat jetzt die Chance bekommen, uns vom Gegenteil zu überzeugen. Von seiner Mission hängt ab, ob die endgültige Entfremdung zwischen den Belgiern und ihren Politikern verhindert werden kann. Das hätte nämlich Folgen, die man sich gar nicht erst vorstellen möchte.
De Tijd sieht das Land sogar vor einem "gefährlichen Abgrund". Die Bevölkerung ist müde. Müde wegen der Unsicherheit, der Angst vor der Zukunft, was sich durch die Corona-Krise nur noch verschärft hat. Müde aber auch, weil die Politik in dieser beispiellosen Krise keinerlei Perspektive bietet. Man muss das Wort "müde" vielleicht durch "wütend" ersetzen. Die Menschen haben es satt, dass in der Rue de la Loi immer noch Stratego gespielt wird. Hat jeder den Ernst der Lage wirklich erkannt? Begreift jeder, wie nah wir vor dem Abgrund von Volkszorn, Populismus und totaler Unregierbarkeit stehen? Denn nur dann hätte Lachaert wirklich eine Chance.
"Deadline-Koalition"
Es ist in jedem Fall die letzte Chance, meint L'Avenir. Das haben wir zwar schon oft gehört, doch diesmal stimmt es sogar. Die Alternativen sind Neuwahlen. Damit verbunden wäre wohl eine existentielle Krise ungeahnten Ausmaßes.
Vielleicht ist es Zeit für eine "Deadline-Koalition", glaubt Het Laatste Nieuws. Jetzt muss eine verbindliche Frist gesetzt werden: Innerhalb eines definierten Zeitraums muss eine Regierung stehen; ansonsten gibt es Neuwahlen. Kein Aufschub möglich! In Ländern wie Spanien oder Israel wird so etwas auch schon praktiziert. Natürlich kann man so etwas jetzt nicht über Nacht einführen, die Politiker könnten sich das aber selbst auferlegen. Am 17. September, wenn Sophie Wilmès in der Kammer die Vertrauensfrage stellt, dann ist Zapfenstreich. Deswegen: Nennt das Kind nicht "Vivaldi" oder "Arizona"-Koalition. Nennt es "Deadline-Koalition".
Roger Pint
In Belgien schafft sich die Demokratie selbst ab. Das beschämende Parteiengezänk versteht niemand mehr. Die Postenjäger und Profiteure der politischen Parteien denken nur an sich, lautet die einfache und simple Feststellung. Ich habe längst den Respekt vor diesen Leuten verloren. Verdienen Geld ohne ihre eigentlichen Arbeit zu machen.