"Der wichtigste Nationale Sicherheitsrat seit dem Monat März", titelt Het Laatste Nieuws. "Das ist die letzte Chance, um die zweite Welle noch zu stoppen", so die Schlagzeile von De Morgen. L'Avenir ist sich sicher: "Der Nationale Sicherheitsrat wird die Schrauben anziehen".
Heute wird der Nationale Sicherheitsrat erneut über die Corona-Lage beraten. Dabei waren die Vertreter aller Regierungen des Landes erst am vergangenen Donnerstag zum letzten Mal zusammengekommen. Doch steigt die Zahl der Neuinfektionen unaufhörlich weiter. Belgien gilt jetzt europaweit als "orange Zone". Gegenmaßnahmen sind also unabdingbar: "Die Verkleinerung der Kontaktblase liegt heute auf dem Tisch des Nationalen Sicherheitsrates", ist Het Belang van Limburg überzeugt. "Die Kontaktblase, aber auch die Grenzen", glaubt La Libre Belgique. Het Nieuwsblad formuliert es in Form eines Appells: "Die Kontaktblasen müssen kleiner werden!", fordert das Blatt. Denn: "Wir haben kaum eine andere Wahl". "Verschärfung, um Schlimmeres zu verhindern", schreibt auch De Standaard auf Seite eins.
"Fünf nach zwölf"
"Es ist fünf nach zwölf", warnt Het Nieuwsblad in seinem Leitartikel. Seit der Lockerung der Ausgangsbeschränkungen standen wir nicht mehr so schlecht da. Und wenn wir das Virus wieder zurückdrängen wollen, dann muss jetzt schnell was passieren. Schneller als erwartet bekommt die Politik heute eine zweite Chance. Nicht, weil man das will, sondern weil man das muss. Eine zweite Chance, um doch noch zu beschließen, was in der vergangenen Woche schon auf dem Tisch lag. Was vor vier Tagen für die Politik noch unannehmbar war, das ist jetzt eine Notwendigkeit: eine kleinere Kontaktblase. Nicht in Antwerpen, sondern überall. Dies ist nicht nur die zweite, sondern die allerletzte Chance, um zu retten, was noch zu retten ist.
"Den Nationalen Sicherheitsrat verfrüht zusammenzurufen, das ist ein bisschen riskant", glaubt seinerseits L'Avenir. Erstmal verstärkt das den allgemeinen Eindruck eines chaotischen Krisenmanagements. Darüber hinaus lässt das einen Hauch von Panik entstehen. Beides wollte die Politik eigentlich verhindern. Bis zum Freitag, also dem ursprünglichen Termin, zu warten, das war aber keine Option mehr. Es war zwar richtig, den Bürgermeistern mehr Handlungsspielraum zu geben. Die übergeordneten Ebenen konnten aber nicht weiter an der Seitenlinie bleiben.
Jetzt liegt also eine erneute Verschärfung der Maßnahmen auf den Tisch. Und das wäre dann wohl ein Sieg der Virologen über die Politik, bemerkt Het Belang van Limburg. So sollte man das aber nicht sehen. Erstmal ist es so, dass die Gesundheitsexperten längst nicht immer einer Meinung sind. Und zweitens: Gleich wie es kommt, es ist immer die Politik, die entscheidet. Nur die Politiker haben ein Mandat. Sie müssen jeden Beschluss auf seine Verhältnismäßigkeit hin abwägen. Sie müssen ein Gleichgewicht finden zwischen den Meinungen der Gesundheitsexperten, Ökonomen, Soziologen und Psychologen. Es sind nämlich die Politiker, die im Anschluss die Maßnahmen den Bürgern darlegen und letztlich die Konsequenzen tragen müssen. Dieses politische System hat zwar seine Schwachpunkte, es ist aber das Beste, das wir haben.
Dunkle Wolke über Antwerpen
Im Fokus steht ja ganz besonders der Großraum Antwerpen, beziehungsweise die Stadt selbst. Dort sind mehr als die Hälfte der derzeit verzeichneten Neuinfektionen angesiedelt. Im Moment werden 77 Ansteckungen je 100.000 Einwohner registriert. Mit solchen Zahlen würde die Region in anderen Ländern unter Quarantäne gestellt, in Deutschland etwa liegt der Schwellenwert bei 50. "In Antwerpen muss ein Lockdown verhängt werden", fordert denn auch ein Experte auf Seite eins von La Dernière Heure. "Ein Antwerpener Lockdown kommt immer näher", so auch die Schlagzeile von Gazet Van Antwerpen.
Die Stadt ist in einem teuflischen Dilemma, meint die Antwerpener Regionalzeitung in ihrem Kommentar. Antwerpen ist ein Hotspot, daran besteht kein Zweifel. Andererseits ist die Hafenstadt aber auch die wirtschaftliche und industrielle Lunge des Landes. Jetzt muss der Nationale Sicherheitsrat diese schicksalhafte Entscheidung treffen. Und selbst, wenn das Gremium sich in dieser Frage noch einmal vertagt, bleibt diese dunkle Wolke über der Stadt.
Le Soir hat eine andere Lesart: "Antwerpen bereitet Sorgen, der Föderalstaat soll's richten", so die Schlagzeile. Der Nationale Sicherheitsrat hatte den Bürgermeistern im Kampf gegen das Coronavirus das Feld überlassen, jetzt muss man ihnen schon zu Hilfe eilen, meint das Blatt in seinem Kommentar. Genau gesagt scheint der Antwerpener Bürgermeister Bart De Wever die heiße Kartoffel an die übergeordneten Behörden weiterreichen zu wollen. Selbst will er keinen Lockdown verhängen, weil das eine allzu unpopuläre Maßnahme wäre. In einem dicht besiedelten Land wie Belgien ist es aber von wesentlicher Bedeutung, lokale Krankheitsherde schnell einzudämmen.
Wenn ein Lockdown nötig ist, dann muss man auch den politischen Mut haben, eine solche Maßnahme zu ergreifen, findet La Dernière Heure. Hier geht es schließlich um Menschenleben. Oder haben wir die erste Welle mit ihren mörderischen Konsequenzen schon vergessen?
Die Unsicherheit bleibt – Scheitern ist keine Option
Vielleicht ist das noch nicht die befürchtete zweite Welle, doch die Psychose ist schon zurück, so das leicht resignierte Fazit von La Libre Belgique. Natürlich wissen wir inzwischen mehr über das Virus. Und sind entsprechend auch besser aufgestellt. Das Arsenal zur Bekämpfung der Pandemie ist definitiv noch verbesserungswürdig. Vor allem sollten sich aber auch die Politiker und die Wissenschaftler wieder zusammenraufen. Die allgemeine Kakofonie muss ein Ende haben.
Die bittere Lektion von alledem ist jedenfalls, dass uns die Unsicherheit erstmal erhalten bleibt. Sie ist zu unserem Schicksal geworden. Mit Corona werden wir wohl leben müssen. Damit verbunden ist aber die Feststellung, dass wir jetzt dringend eine handlungsfähige Regierung brauchen mit einer Mehrheit im Parlament. Deswegen auch die Botschaft an Bart De Wever und Paul Magnette: Scheitern ist keine Option.
Roger Pint