"Es ist die Woche der letzten Chance", titelt bedrohlich Het Nieuwsblad. Und dann noch ein Zitat vom Leiter einer Notaufnahme: "Bei der ersten Welle kamen sie von den Skipisten; jetzt werden sie von den Stränden kommen".
Aus diesen Schlagzeilen spricht Besorgnis. Die Zahl der Corona Neuinfektionen ist ja in den letzten Tagen spürbar angestiegen. Vor diesem Hintergrund war der Konzertierungsausschuss am Sonntag zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Das Ergebnis steht auf Seite eins von Gazet van Antwerpen: "Er gibt keine neuen Maßnahmen, wohl aber strengere Kontrollen", schreibt die Zeitung. "In Eile zusammengekommen, nichts entschieden", beklagt Het Nieuwsblad im Innenteil.
"Die Regierung hofft weiter auf die Kontaktpersonennachverfolgung", so die Schlagzeile auf Seite eins von De Morgen. Denn, nur wenn das Tracing funktioniert, kann man verhindern, dass aus den bisher noch lokalen Ausbrüchen ein Flächenbrand wird. Allerdings: "Das Vertrauen in das Kontakt-Tracing liegt bei null", prangert Het Laatste Nieuws an. Het Belang van Limburg bestätigt: "Die betroffenen Städte in Limburg beklagen die langsame Kontaktpersonennachverfolgung", schreibt das Blatt.
Konzertierungsausschuss: "naive Entscheidung"
Viele Leitartikler üben denn auch scharfe Kritik an den Ergebnissen der Sondersitzung des Konzertierungsausschusses am Sonntag. Dass die Polizei mehr und strenger kontrollieren soll, das ist natürlich eine gute Sache, meint etwa Gazet van Antwerpen. Aber, selbst wenn wir uns alle an die Regeln halten würden, ist es längst nicht sicher, dass der derzeitige Trend noch zu stoppen ist. Das geht nur, wenn man dafür sorgt, dass die Kontaktpersonennachverfolgung wirklich effizient funktioniert. Und das ist längst überfällig.
"Gehen unsere Politiker zu leichtfertig mit der neuerlichen Entwicklung um?", fragt sich De Morgen. Oder ist es vielleicht doch besser, noch einmal an unseren gesunden Menschenverstand zu appellieren? Die Wahrheit ist, dass es längst zwei Lager gibt: Auf der einen Seite diejenigen, die - jetzt noch mehr als bisher - die Regeln befolgen, und dann eben die Unbelehrbaren, an denen all das wie Wasser abperlt. Psychologen vertreten die Ansicht, dass Menschen klare und logische Regeln brauchen. Das hat man auch am Beispiel der Maskenproblematik sehen können. Ursprünglich galt nur in Öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maskenpflicht, nicht in Supermärkten. Das war unlogisch und das wiederum sorgte dafür, dass man die Maske als "nebensächlich" betrachtete. Ergo: Es ist richtig, auf die Regeln zu pochen. Zu glauben, dass uns das vor einer zweiten Welle bewahren wird, das ist allerdings naiv.
Hier wird mal wieder fleißig "wärmstens empfohlen", kritisiert auch Het Laatste Nieuws. So haben die Regierungen am Sonntag unter anderem "appelliert", dass das Kontakt-Tracing jetzt schnell effizienter werden müsse. Brillanter Plan! Zeitgleich kündigte Innenminister De Crem an, die Gouverneure "dazu anzuhalten", die Kontrollen zu verschärfen. Ob das Eindruck machen wird, man mag es bezweifeln. Oder es wird "empfohlen", nun doch nicht in Urlaub zu fahren. Wissen Sie was: Wir sollten auch dem Coronavirus "wärmstens empfehlen", sich nicht weiter zu verbreiten. Mal schauen, ob das hilft.
Der Bürger hat es (auch) in der Hand
"Die Regierungen des Landes machen es sich zu einfach!", wettert auch Het Nieuwsblad. Jetzt sollen also lediglich die Regeln entschlossener durchgesetzt werden. Dabei hatte man ja erst noch geglaubt, die Politik habe den Ernst der Lage erkannt, als Premierministerin Sophie Wilmès am Freitag eine Sondersitzung des Konzertierungsausschusses einberief. Zwei Tage später wurde dann aber wieder... nichts entschieden. Die Regierungen gehen einfach zu sorglos mit der Situation um. Dann kann man von den Bürgern auch nicht mehr erwarten.
La Dernière Heure nimmt ihrerseits eben diese Bürger in die Pflicht. "Müssen wir denn immer darauf warten, dass man uns Regeln aufs Auge drückt?", fragt sich das Blatt. Brauchen wir tatsächlich immer erst Vorgaben der Bürgermeister oder des Nationalen Sicherheitsrats? Es liegt doch an jedem Einzelnen, seinen Beitrag zu leisten im Kampf gegen die Epidemie. Die Mittel sind längst allgemein bekannt, angefangen bei den Mundmasken.
Genau hier hakt auch das GrenzEcho ein: "Greift zu den Masken!", so der Appell. Nicht, um sich selbst zu schützen, sondern die anderen. Eine Maskenpflicht ist notwendig, um sich für einen neuen Ansturm des Virus zu wappnen.
Politische Verantwortung?
In Flandern sitzt übrigens heute der CD&V-Gesundheitsminister Wouter Beke auf dem "heißen Stuhl". Nach wochenlanger Kritik an seiner Amtsführung wird Beke heute vom Corona-Sonderausschuss des flämischen Parlaments angehört. "D-Day für Beke"; schreibt denn auch De Standaard auf Seite eins. "Wobei, machen wir uns nichts weiß: Der Mann wird nicht zurücktreten", meint die Zeitung in ihrem Kommentar.
In diesem Land ist es allzu selten, dass ein Minister mal politisch die Verantwortung übernimmt für ein offensichtliches Versagen. Davon abgesehen mag man sich fragen, ob ein Bauernopfer letztlich auch nur ein Problem lösen würde. Was nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass Bekes Krisenmanagement zu langsam und zu ineffizient, zu wenig proaktiv und zu wenig empathisch war.
Nationalfeiertag mit einem "Fels in der Brandung"
Einige Blätter schließlich blicken auf den Nationalfeiertag am Dienstag. "Es wird ein Nationalfeiertag im Zeichen von Covid", schreiben La Dernière Heure und La Libre Belgique. Wegen der Corona-Krise wurde das Programm ja ziemlich zusammengestrichen.
"Es wird ein Nationalfeiertag, wie wir ihn noch nie erlebt haben", glaubt auch Le Soir. Überschattet von einer doppelten Krise: Einer tödlichen Epidemie, die aber immer noch nicht die Parteien dazu bringt, sich mal zusammenzuraufen. In alledem gibt es aber einen regelrechten "Fels in der Brandung": den König. Das Staatsoberhaupt hat keine Gelegenheit ausgelassen, den Menschen sein Mitgefühl zu bekunden und ein offenes Ohr für ihre Sorgen zu zeigen. Klar wird uns auch der König nicht von Covid erlösen oder uns eine Regierung herzaubern können. All diejenigen, die sich vor einigen Jahren noch über ihn lustig gemacht haben, die hat Philippe aber längst Lügen gestraft. Und das musste auch mal gesagt werden...
Roger Pint
Es ist beruhigend festzustellen, dass in den Redaktionen der nationalen Presse kluge Journalisten arbeiten, die die Herausforderung der Corona-Krise verstanden haben und darauf hinweisen, dass ohne nachvollziehbare Regeln und ohne das verantwortungsbewusste Handeln jedes Einzelnen, die Pandemie nicht zu besiegen ist.
Leider wird der gesunde Menschenverstand durch die Agitation der Querulanten, Leugner und Verschwörungsgurus in den „sozialen“ Medien und Foren fahrlässig untergraben.
Die Hoffnung bleibt, dass der Herbst nicht zu einem Albtraum für uns alle wird.