"Offene Grenzen: Der Sommer wird strahlend", titelt L'Avenir auf seiner Titelseite. "Reisen trotz Corona", schreibt auch das GrenzEcho. "4.000 Passagiere und einer durfte nicht abfliegen", fasst Het Nieuwsblad auf Seite eins die Wiederöffnung des Brüsseler Flughafens zusammen.
Seit gestern sind die Grenzen Belgiens wieder offen – und damit kann man auch wieder reisen, ohne besondere Gründe zu haben. Die simultane Wiederöffnung der Grenzen in der Mehrheit der EU-Mitgliedsländer bestätigt, dass das Coronavirus in Europa größtenteils unter Kontrolle ist, so L'Avenir. Und dass Europa in der Lage ist, sich in puncto schrittweiser Wiederbelebung der Wirtschaft abzusprechen.
Dieses Aufatmen ist nach den schwierigen Wochen, die hinter uns liegen, höchst willkommen. Auch, wenn wir natürlich wachsamen Auges auf die neuen Ausbrüche in China schauen müssen.
Aber die Vorsicht vor einer zweiten Welle darf nicht zu einer Besessenheit führen. Sich selbst über ein vernünftiges Maß hinaus einzuschränken kann sich als noch schädlicher erweisen. Neben den geografischen Barrieren gilt es, auch die psychologischen Barrieren wieder zu überwinden, warnt L'Avenir.
Es ist einfacher, mit dem Finger auf andere zu zeigen
La Dernière Heure erinnert daran, dass Belgien – und zwar mit Abstand – den Rekord hält, was die Anzahl von Corona-Toten pro Einwohner angeht. Auch, wenn unser Gesundheitssystem die Epidemie bemerkenswert gut standgehalten hat: Die belgische Bilanz ist nicht gut.
Das Virus hat sich auf ein vollkommen entwaffnetes Land gestürzt. Und besonders die Bewohner der Altenheime wurden als Kanonenfutter verheizt. Aber offensichtlich ist es für manche unserer politisch Verantwortlichen viel einfacher, in Sachen Corona-Management mit dem Finger auf andere Länder zu zeigen, als aufrichtig ihr eigenes Gewissen zu befragen, kritisiert La Dernière Heure.
Dass wir das Coronavirus anscheinend unter Kontrolle haben, heißt nicht, dass wir die Verteidigung gegen neue Viren nicht optimal ausbauen müssen, mahnt auch Het Nieuwsblad. Dass das aber tatsächlich passiert, ist alles andere als offensichtlich.
Die institutionelle Zersplitterung des Landes hat für katastrophale Verzögerungen gesorgt. Dass die Regierung nur geschäftsführend im Amt ist, hat das Ganze nur noch schwieriger gemacht. Hinzu kommen dann noch das Misstrauen zwischen Politikern und Parteien und der Profilierungsdrang bestimmter Menschen.
Was jeder Belgier will, ist, dass die politisch Verantwortlichen aller Ebenen Lehren ziehen aus dem, was dem Land passiert ist. Leider gibt es wenige Anzeichen dafür, dass das auch geschieht, beklagt Het Nieuwsblad.
Taten, nicht nur leere Worte
Het Laatste Nieuws bringt es auf den Punkt: Wir brauchen eine Regierung, die uns sachkundig aus der Coronakrise lotsen kann, die dem Interesse der Allgemeinheit dient. Nicht Lobbyisten und kurzsichtige Parteiinteressen. Eine Regierung, die uns mit den geeigneten Investitionen, intelligenten Sparmaßnahmen und mutigen Reformen auf den richtigen Weg bringt. Und die danach das System an die neuen Bedürfnisse des Landes anpasst.
Die Politiker sollen das tun, wofür sie gewählt worden sind, das wofür sie bezahlt werden. Bis endlich Taten zu sehen sind, bleiben alle ihre Ankündigungen leere Worte, giftet Het Laatste Nieuws.
Für Gazet van Antwerpen ist es nicht nachvollziehbar und traurig, dass es trotz Coronakrise immer noch nicht gelungen ist, eine Regierung zu bilden. Nachdem das Schlimmste überstanden war, hatten die Vertreter der frankophonen und flämischen Sozialisten, Paul Magnette und Conner Rousseau, eine "Schnüffelrunde" gemacht. Gestern hatten sie ihren Bericht fertig und übergaben ihn der Premierministerin. Sie hätten eine Öffnung, eine neue Formel, behaupteten sie.
Nein, noch keine Vereinbarung mit den anderen Parteien. Aber die Gespräche seien konstruktiv gewesen. Und jetzt solle Wilmès bitte die Verhandlungen übernehmen. Kann man es ihr da wirklich übel nehmen, dass sie Rousseau und Magnette erstmal wieder zurück ans Reißbrett geschickt hat?
Muss sie jetzt wirklich, wo sie doch vollauf mit der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise beschäftigt ist, auch noch endlose Gespräche mit allen Parteien führen? Nein, das muss sie nicht.
Die Regierungsbildung an Wilmès abzuschieben, ist zu einfach. Sie hat genug damit zu tun, das Land zu führen. Wilmès hat ihre Verantwortung übernommen. Das sollten jetzt auch die Politiker tun, die seit einem Jahr die Bildung einer Regierung blockieren, fordert Gazet van Antwerpen.
Warum haben die sozialistischen Parteichefs die heiße Kartoffel an die Premierministerin weitergereicht?, fragt auch La Libre Belgique. Die hat ja gerade nichts anderes zu tun, als ein kleines Land am Rand des Abgrunds zu managen.
Warum hat das Duo Rousseau-Magnette seine Aufgabe nicht bis zum Ende geführt? Aus Angst vor einem Scheitern?, stichelt La Libre Belgique.
Stoemp oder Kompost?
Rousseau und Magnette betrachten ihre Aufgabe als abgeschlossen, scheint Het Belang van Limburg das Verhalten zu rechtfertigen. Wilmès muss den Stab übernehmen, weil sie über dem parteipolitischen Kampfgetümmel steht. Außerdem war sie die letzte Vor-Corona-Regierungsbildnerin, sie könnte den Faden also jetzt wieder aufnehmen.
Aber Wilmès ist das Ganze noch zu fragil, zu unverbindlich. Deswegen will sie, dass die Vorsitzenden der Sozialisten einen gründlicheren Bericht ausarbeiten. Die heiße Kartoffel der Koalitionssuche ist durch so viele Hände gegangen, dass sie zu einem heißen, staubtrockenen und geschmacklosen Püree geworden ist.
Entweder, die Parteivorsitzenden schaffen es, mit Butter, Milch und Kräutern daraus noch einen essbaren Stoemp zu machen, oder das Ganze landet im September eben auf dem Kompost. Es hat jedenfalls schon lang genug gedauert, warnt Het Belang van Limburg.
Boris Schmidt