"Belgien überschreitet die Schwelle von 2.000 Covid-19-Toten", titelt La Libre Belgique. Die Zahl der Todesfälle ist noch einmal drastisch gestiegen. Nach den neuesten Angaben der Gesundheitsbehörden sind inzwischen schon 2.035 Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion gestorben.
Eine Erklärung für den unerwartet starken Anstieg der Zahlen steht auf Seite eins von Het Nieuwsblad: "Die Todesfälle in den Alten- und Pflegeheimen jagen die Opferzahlen nach oben". Es geht hier vor allem um die Alten- und Pflegeheime in Flandern. Diese Zahlen sind wohl etwas später den Ämtern mitgeteilt worden. Die Zwischenbilanz in Flandern ist jedenfalls doch erschreckend: "Bereits 619 Corona-Tote in den flämischen Altenheimen", so die Schlagzeile von Gazet van Antwerpen.
Und die Situation bleibt angespannt. De Morgen spricht von "Chaos auf dem Terrain": "Die Alten- und Pflegeheime läuten die Alarmglocke", schreibt das Blatt auf Seite eins. In diese Richtung geht auch die Schlagzeile von De Tijd: "Die Altenheime bitten die Krankenhäuser um Hilfe".
Ein Tropfen auf dem heißen Stein
Der Leitartikel von Le Soir liest sich wie eine Grabrede. "Belgien zählt weiter seine Toten", meint das Blatt. Diese Pandemie hat mitunter perverse Auswirkungen: Nicht nur, dass sie uns geliebte Menschen entreißt, diese Krise verhindert außerdem, dass wir diese Menschen auf ihrem letzten Gang begleiten, ihre Hand halten. 2.000 Tote in Belgien, das sind genauso viele Familien, die ihre Angehörigen nicht betrauern konnten. Und das sorgt für unsäglichen Schmerz. Und dann zitiert die Leitartiklerin ein Gedicht. Titel: "Gedicht, um nicht alleine gehen zu müssen"...
Die neuesten Zahlen sollten unsere Aufmerksamkeit aber mal auf die Alten- und Pflegeheime lenken, mahnt Gazet van Antwerpen. Inzwischen ist es immerhin so, dass den Einrichtungen zusätzliche Test-Kits zur Verfügung gestellt werden sollen. Das ist aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Es fehlen nach wie vor überall Mundmasken und Schutzkleidung. Es wird Zeit, dass die Mitarbeiter in den Alten- und Pflegeheimen endlich die Unterstützung bekommen, die sie verdienen.
Andere Zeitungen sind da durchaus kritischer. "Wie konnte es soweit kommen?", fragt sich anklagend De Tijd. Man sagt: "Der Tod kommt unerwartet". Nun, so unerwartet war das im vorliegenden Fall nicht. Die flämische Regierung hat offensichtlich zu lange geglaubt, dass der Föderalstaat die dringend nötigen Schutzmasken besorgen würde. Dabei sind seit der 6. Staatsreform die Zuständigkeiten neu geregelt. In der Zwischenzeit konnte sich das Virus über das Personal in den Alten- und Pflegeheimen verbreiten. Belgien hat es viel zu lange versäumt, sich auf die wirklichen Auswirkungen der Vergreisung der Bevölkerung vorzubereiten. Nie war das so offensichtlich wie heute.
Zeit für De Block, ihre Fehler einzugestehen
De Morgen geht noch einen Schritt weiter. Jetzt wird plötzlich für jedermann sichtbar, welches Drama sich hinter den Mauern der Alten- und Pflegeheime abgespielt hat. 619 Tote sind dort zu beklagen, alleine in Flandern. Der zuständige flämische Minister Wouter Beke will jetzt mehr testen lassen. Das allerdings kommt reichlich spät; wie wir längst wissen, wartet das Coronavirus nicht.
Doch auch die föderale Gesundheitsministerin Maggie De Block ist nicht ohne Schuld. Die Kommunikation der föderalen Stellen war oft verworren, manchmal widersprüchlich. Am schlimmsten ist aber, dass unsere Gesundheitsbehörden das Virus anfangs unterschätzt haben; trotz aller Warnungen. Entsprechend schlecht waren wir vorbereitet. Es wird Zeit, dass De Block ihre Fehler eingesteht.
Corona-Bonds stellen EU vor Zerreißprobe
In der Zwischenzeit streiten die EU-Staaten über die milliardenschweren Hilfspakete, die da geschnürt werden sollen. Es wird höchste Zeit, dass die EU jetzt ihren Mehrwert unter Beweis stellt, glauben L'Echo und L'Avenir. Doch ist es ernüchternd zu sehen, dass selbst die Krise die Staaten nicht zusammenrücken lässt. Jetzt wird die Idee der Corona-Bonds zur Zerreißprobe. Aber: Ohne Solidarität unter den Staaten gerät die EU in akute Lebensgefahr.
Het Laatste Nieuws nuanciert demgegenüber: "Solidarität, das klingt nobel, aber das ist zu einfach", meint das Blatt. Die Haltung der nördlichen Staaten, und insbesondere der Niederländer, ist nachvollziehbar. Sie sind die Ameisen Europas, haben unter großen Anstrengungen ihre Haushalte saniert. Während andere, auch Belgien, noch immer weiter Schulden gemacht haben. Solidarität, das ist keine Kasse, auf die jeder zurückgreifen kann, der aller Warnungen zum Trotz zu viel Geld ausgegeben hat.
Für Het Belang van Limburg ist das zu kurz gegriffen. Die Niederlande sind keine Insel. Wenn ganz Europa wirtschaftlich zusammenbricht, dann hätte das auch enorme Auswirkungen auf die nördlichen Nachbarn. Wir müssen doch langsam einsehen, dass wir alle in einem Boot sitzen.
Lockdown-Ausstieg wird vorbereitet
Einige Blätter blicken ihrerseits schon nach vorn. "Zehn Experten bereiten Lockdown-Ausstieg vor", schreibt das GrenzEcho auf Seite eins. Viele Zeitungen beschäftigen sich mit der Arbeitsgruppe, die den Neustart vorbereiten soll. Das Gremium besteht aus Medizinern einerseits und Vertretern der Wirtschafts- und Finanzwelt auf der anderen Seite. Geleitet wird die Gruppe von Erika Vlieghe, der Chefin der Abteilung Infektionskrankheiten an der Antwerpener Uniklinik.
Het Laatste Nieuws scheint den Experten schon einige Tipps an die Hand geben zu wollen: "So sehen Industrie, Unterrichtswesen, der Horeca- und der Bausektor den Neustart", schreibt das Blatt.
Schwierige Lockerung der Maßnahmen
Und, viele können es offensichtlich kaum erwarten. Viele flämische Zeitungen zeigen heute auf ihren Titelseiten Fotos von ellenlangen Warteschlangen vor Containerparks. Die Wertstoffhöfe haben in Flandern wieder geöffnet. Und dort stauten sich die Autos gestern Stoßstange an Stoßstange. So mancher warnt aber davor, dass sich die Menschen jetzt falsche Hoffnungen machen könnten: "Es ist noch nicht der Moment, um über eine Exit-Strategie nachzudenken", warnen Experten auf Seite eins von La Dernière Heure.
Ausgangsbeschränkungen zu erlassen, das ist einfach. Viel schwieriger ist es, die Maßnahmen wieder zu lockern, meint Het Nieuwsblad. Hier wird man ein fragiles Gleichgewicht finden müssen zwischen der Volksgesundheit und der Wirtschaft. Auf den gesunden Menschenverstand muss man da jedenfalls nicht immer zählen. Das haben die langen Schlangen vor den Containerparks gerade noch einmal eindrucksvoll bewiesen. Was wird das erst, wenn soziale Kontakte schrittweise wieder erlaubt werden? Wir sind offensichtlich noch nicht reif dafür...
Roger Pint