"Norditalien ist abgeriegelt", titelt Het Laatste Nieuws. "Italien stellt ein Viertel seiner Bevölkerung unter Quarantäne", so die Schlagzeile von La Libre Belgique. Einige Zeitungen sind präziser: "16 Millionen Italiener eingesperrt", schreiben Het Belang van Limburg und Le Soir auf Seite eins.
Italien hat drastische Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus einzudämmen. Die Region Lombardei und 14 Provinzen wurden abgeriegelt. Im Großen und Ganzen betrifft die Maßnahme den kompletten Norden des Landes, also die wirtschaftliche Lunge Italiens. "Lockdown in Italien für den Rest des Monats", schreibt sinngemäß Gazet van Antwerpen.
"Nur so werden wir den Kampf gegen Corona gewinnen", so fasst Het Nieuwsblad den Grundgedanken zusammen. Die Situation ist nämlich inzwischen außer Kontrolle. Die Schlagzeile von Het Nieuwsblad sagt alles: "133 Tote an einem Tag". "Italien setzt alles auf eine Karte, um das Virus einzudämmen", schreibt denn auch De Standaard. "Aber diese mittelalterliche Methode funktioniert", titelt De Morgen. Das zumindest ist die Einschätzung des Löwener Virologen Marc Van Ranst.
Man fühlt sich wie im Katastrophenfilm
Eine solche Maßnahme gab es in Europa noch nie, konstatiert Het Belang van Limburg in seinem Leitartikel. Die Frage, die sich aber stellt, ist: Kann das auch bei uns passieren? Der Virologe Steven Van Gucht, der Chef der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe Coronavirus, glaubt, dass das wenig Sinn hätte. Belgien sei viel zu klein und noch dazu viel zu dicht besiedelt. Besser sei es, auf den gesunden Menschenverstand der Belgier zu zählen. Wobei: Niemand kann sich sicher fühlen vor einer Massenhysterie. Der erste belgische Corona-Tote ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Irgendwie wirkt das Ganze absurd, meint Le Soir. Wenn man uns vor einigen Tagen noch gesagt hätte, dass Italien 16 Millionen Einwohner unter Quarantäne stellen würde, wir hätten es nicht geglaubt. Man fühlt sich an einen Katastrophenfilm erinnert. Spätestens jetzt sollte jedem aufgehen, dass jeder Einzelne seine Verantwortung übernehmen muss. Angefangen damit, dass wir alle die Ratschläge der Experten befolgen sollten. Und noch etwas: Hier werden wir noch einmal daran erinnert, dass gerade in Belgien alle Menschen gleich sind im Angesicht des Coronavirus. Im Gegensatz etwa zu den USA, wo sich nur die Reichen testen lassen können. Unser Gesundheitssystem rettet ein Maximum an Leben. Und deswegen muss es erhalten und gestärkt werden.
"Liebe Politiker: Jetzt ist es Zeit, sich zu bewegen!"
Aber brauchen wir dafür tatsächlich neun Gesundheitsminister?, fragt sich sarkastisch La Dernière Heure. Naja, augenzwinkernd könnte man ja argumentieren, dass Belgien mit einer derartig geballten Kompetenz mit Sicherheit perfekt aufgestellt ist. Neun Minister, da kann ja nix schiefgehen. Wenn man dann aber sieht, dass die heiße Kartoffel zwischen den verschiedenen Machtebenen weitergereicht wird, der eine häufig auf den anderen verweist, dann wird das Ganze lächerlich. Um die besorgten Bürger zu beruhigen, brauchen wir jetzt vor allem eine kohärente, geradlinige Kommunikation.
Wir stehen vor dem Moment der Wahrheit, meint jedenfalls La Libre Belgique. Italien ist das beste Beispiel: Weniger als tausend Kilometer von uns entfernt wurden 16 Millionen Menschen unter Quarantäne gestellt. Solche Maßnahmen haben natürlich immense Auswirkungen auf den Alltag der Menschen und auch auf die Wirtschaft. Ein solcher Schritt muss wohlüberlegt sein. Und genau vor diesem Hintergrund braucht Belgien jetzt dringend eine handlungsfähige Regierung. Ein geschäftsführendes Kabinett hat nur begrenzten Handlungsspielraum. Liebe Politiker: Jetzt ist es Zeit, sich zu bewegen!
Neue Dynamik durch das Coronavirus?
Apropos: Heute ist ja wieder Murmeltiertag. Genauer gesagt werden die beiden königlichen Beauftragten Sabine Laruelle und Patrick Dewael wieder im Palast erwartet, um dem König Bericht zu erstatten. In den letzten Tagen haben die beiden Parlamentsvorsitzenden offenbar an einer Notregierung gearbeitet. Das wäre also konkret die amtierende Regierung, ergänzt durch die Sozialisten und Grünen. Zünglein an der Waage ist aber wieder die CD&V. Die flämischen Christdemokraten wollen heute entscheiden, ob sie dieser Notregierung beitreten oder nicht. Dafür haben sie sogar eigens ihre Mitglieder befragt. "Der König schaut auf die CD&V, bevor er sich entscheidet", notiert Het Nieuwsblad auf Seite eins.
Vielleicht hat am Ende das Coronavirus für eine neue Dynamik gesorgt, analysiert Het Nieuwsblad. Zumindest sollte die Epidemie dafür sorgen, dass sich jetzt so langsam aber sicher ein Gefühl der Dringlichkeit einstellt. Damit wächst der Druck jedenfalls auf die flämischen Christdemokraten. Und inzwischen droht die Vernunft, den Emotionen weichen zu müssen. Das Coronavirus stellt die CD&V vor die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Gazet van Antwerpen ist von dieser Argumentation nicht überzeugt. Das Coronavirus sollte jetzt nicht zum Anlass genommen werden, um eine Notregierung übers Knie zu brechen. N-VA-Chef Bart De Wever hat Recht: Wir haben schon eine Notregierung. Das geschäftsführende Kabinett von Premierministerin Sophie Wilmès hat durchaus die Möglichkeit, alle Maßnahmen zu treffen, die nötig sind – und dafür auch die notwendige Unterstützung im Parlament zu bekommen. Und Ehre, wem Ehre gebührt: Die föderale Gesundheitsministerin Maggie De Block scheint die Situation unter Kontrolle zu haben. Deswegen sollte man keine Regierung bilden, nur um eine Regierung zu bilden. Damit würden die wirklichen innenpolitischen Probleme nämlich nur aufgeschoben. Und dann stecken wir in fünf Jahren wieder in dem gleichen Schlamassel.
Roger Pint