"Die neuen Gesichter von Europa", das ist heute die Schlagzeile von De Standaard. Gemeint sind damit Charles Michel und Ursula von der Leyen. Der Ex-Premier wird am Sonntag offiziell der nächste EU-Ratspräsident, die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen übernimmt am selben Tag die Spitze der EU-Kommission.
Dieser Neustart der EU-Institutionen beschäftigt auch den einen oder anderen Leitartikler. L'Echo findet, dass Belgien in diesem neuen Gefüge den Platz seiner Wahl gefunden hat. Auf Charles Michel wird als Ratspräsident die Aufgabe zukommen, den 28 EU-Ländern eine gemeinsame Stimme zu geben. Das wird höchst kompliziert, angefangen bei der Verabschiedung des nächsten Haushaltsplans.
Didier Reynders wird seinerseits als belgischer EU-Kommissar mit der Modernisierung der europäischen Justiz befasst sein. Außerdem soll er die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsländern und den Verbraucherschutz überwachen.
Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bringt dabei willkommenen frischen Wind in die EU. Die erste Frau an der Spitze der Kommission hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt und den Klimaschutz und die Digitalisierung in den Vordergrund gerückt. Wenn Europa auf die Erwartungen und Ängste der Menschen eingeht, kann das Beste erreicht werden. Aber wenn sich die EU in eine technokratische Blase zurückzieht oder Lobbyisten das Feld überlässt, bereitet sie das Bett für die extreme Rechte, warnt L'Echo.
Letzte Chance
Der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte 2014 die "Kommission der letzten Chance" ausgerufen, erinnert sich La Libre Belgique. Diese Chance hat er genutzt. Nicht vollständig, aber ausreichend, damit die EU die vielen Krisen der vergangenen Jahre überstehen konnte. Das Überleben der Europäischen Union zu sichern, ist allerdings kein Selbstzweck. Die Gemeinschaft erhält ihre Legitimität über den Mehrwert, den sie ihren mehr als 500 Millionen Bürger bieten kann. Um diesen Mehrwert angesichts steigender Unsicherheit im globalen Kontext zu liefern, braucht es ein gewisses Maß an Einheit und interner Kohärenz. Charles Michel und Ursula von der Leyen, die beiden neuen Co-Piloten der Union, sowie die Staats- und Regierungschefs der Länder scheinen das begriffen zu haben. Davon zeugen die festgelegten Prioritäten. Nun müssen diese aber auch umgesetzt werden. Mehr noch als vor fünf Jahren hat die EU also eine letzte Chance, um nicht bedeutungslos zu werden, analysiert La Libre Belgique.
L'Avenir beschäftigt sich mit der belgischen Politik und der Wahl von Georges-Louis Bouchez zum Vorsitzenden der MR. Bouchez kann bei den Liberalen bereits auf eine hübsche Karriere blicken. Er verkörpert Mut, Temperament und eine politische Rechte ohne Komplexe. Aber das reicht nicht aus in der extrem verschlossenen belgischen Politik, besonders in der Wallonie. GLB, wie er von seinen Freunden genannt wird, wird sich nun mit Vorsicht in die Bildung einer Föderalregierung einbringen müssen. Dafür muss er zunächst parteiintern Ruhe schaffen und die Wogen glätten, die auch sein eigener parteiinterner Wahlkampf geschaffen hat. Wer mit 33 Jahren davon träumt, Parteivorsitzender zu werden, der will nicht nur ein guter Manager sein. Natürlich geht es auch um Macht – mit allen Herausforderungen und Gefahren, die damit verbunden sind, stellt L'Avenir fest.
Dilemma
De Tijd analysiert die Sicht des neuen MR-Vorsitzenden auf die politische Situation in Flandern: Wenn eine Föderalregierung nicht mit den zwei größten flämischen Parteien ausgehandelt wird, namentlich N-VA und Vlaams Belang, werden 46 Prozent der flämischen Wähler ausgeschlossen. Und das öffnet dann die Tür für eine Mehrheit genau dieser Parteien im Jahr 2024. Das ist die Logik von Georges-Louis Bouchez. Deshalb muss die MR auf jeden Fall probieren, die N-VA und die PS an einen gemeinsamen Tisch zu bringen. In Flandern gibt es keine linke Mehrheit und selbst zusammen mit der CD&V reicht es lange nicht. In der Wallonie wiederum ist die PS unumgänglich. Die vergangenen Wochen haben dieses Dilemma glasklar gemacht. Selbst mit dem Versprechen einer Staatsreform würde eine Regierung mit PS und N-VA beide Parteien an ihr Limit bringen. Eine Regierung ohne die N-VA würde aber das ganze Land an sein Limit bringen, befürchtet De Tijd.
Kopf in den Sand
"Diese Rückkehr von IS-Frauen ist eine Blamage für Belgien", meint Het Nieuwsblad. Gemeint ist die unilateral von den türkischen Behörden organisierte Rückführung zweier Belgierinnen, die sich dem IS angeschlossen hatten. Belgien hätte sich diese Blamage ersparen können, wenn es die Organisation der Rückkehr selbst in die Hand genommen hätte. Man kann nicht instabile Länder wie den Irak dafür bezahlen, Kriminelle wegzusperren. Belgien kann sich als Herkunftsland nicht weigern, Kriminelle zurückzunehmen. Und das Wichtigste: Man darf nicht die Warnungen von Geheimdiensten und Terrorspezialisten ignorieren, weil das der Politik gerade in den Kragen passt. Denn die Gefangenenlager in den Krisenregionen sind wahre Brutstätten der Radikalisierung. Die Politik hat versucht, den Kopf in den Sand zu stecken. Die IS-Frauen haben, was sie wollen: Sie sind zurück. Und die Politiker konnten dabei nur ohnmächtig zuschauen, resümiert Het Nieuwsblad.
La Dernière Heure liefert angesichts eines weiteren Mordes an einer Frau durch ihren Partner ein flammendes Plädoyer gegen Gewalt an Frauen. Wir brauchen mehr als wachsendes Bewusstsein durch eine zunehmende Mediatisierung des Problems. Es ist eine wirkliche Politik nötig, die zugleich präventiv und repressiv ist. Es müssen beim kleinsten Warnsignal Maßnahmen ergriffen werden, die nicht das Opfer aus dem Weg räumen – wie es oft der Fall ist – sondern denjenigen, der zuschlägt. Dabei geht es schlicht und ergreifend um die Unterstützung für gefährdete Menschen, fordert La Dernière Heure.
Peter Eßer