"Das Rätsel von Ruinerwold", titelt De Morgen. "Neun Jahre abgeschnitten von der Welt", heißt es bei Gazet van Antwerpen auf Seite eins. "Neun Jahre ohne Kontakt auf einem Bauernhof?", fragt Het Nieuwsblad in seiner Schlagzeile.
Gerade viele flämische Zeitungen berichten ausführlich über den 58-jährigen Vater, der mit fünf Kindern in dem niederländischen Dorf Ruinerwold neun Jahre lang komplett isoliert von der Außenwelt gelebt haben soll. Der Fall wurde am Dienstag bekannt. Der Vater wurde mittlerweile festgenommen. Viele Details hingegen sind noch unklar. Wohl auch deshalb beschäftigen sich die Leitartikel mit anderen Themen.
Zu den US-Sanktionen gegen die Türkei wegen der türkischen Offensive gegen die Kurden in Nordsyrien kommentiert die Wirtschaftszeitung De Tijd: Diese Sanktionen sind halbherzig. Die USA könnten die Türkei viel härter treffen, wenn sie zum Beispiel mit der Macht des Dollars spielen würden oder, wie schon am Beispiel des Iran gezeigt, ein komplettes Handelsverbot gegen die Türkei verhängen würden. Dann nämlich wären auch andere Länder gezwungen, sich diesen Sanktionen anzuschließen. Doch all das macht Präsident Trump nicht. Seine Sanktionen sind auch nur als Reaktion zu verstehen auf den innenpolitischen Druck, dem sich Trump ausgesetzt sieht. Sowohl im Parlament als auch bei Trumps Anhängern gibt es viel Kritik am türkischen Angriff auf die Kurden. Trump sorgt sich nicht um die Kurden, sondern um seine Wiederwahl im nächsten Jahr. Härtere Sanktionen wird er nicht beschließen wegen irgendwelcher Ereignisse in Nordsyrien, sondern nur, wenn der innenpolitische Druck auf ihn noch höher wird, glaubt De Tijd.
Was würden wir tun?
Im Zusammenhang mit der türkischen Offensive beschäftigen sich viele flämische Zeitungen mit dem Militärgruß, mit dem eine Fußballmannschaft von zehnjährigen Kindern eines türkischen Vereins aus Beringen die gefallenen türkischen Soldaten in Nordsyrien geehrt haben.
Het Laatste Nieuws hält fest: Ja, das Bild schockiert. Das sieht aus wie Kindersoldaten und weist darauf hin, dass die Solidarität der bei uns lebenden Türken auch in der dritten und vierten Generation mit der Türkei viel höher ist als mit Belgien. Türkischstämmige Belgier können bei uns immer noch komplett in einer türkischsprachigen Welt leben. Das Problem besteht nicht nur bei uns. Auch Deutschland zum Beispiel kennt es und hat im Fußball dort ähnliche Probleme, wie jetzt auch wir. Frage ist: Wer ist schuld daran? Ist es richtig, jetzt mit dem Finger auf die Türken zu zeigen? Sollen Türken, die im Ausland leben, ihre Wurzeln in Kriegszeiten verleugnen? Wie würden wir selbst an ihrer Stelle reagieren?, fragt Het Laatste Nieuws.
Het Nieuwsblad hält fest: Die Kinder sind sicher nicht schuld an der umstrittenen Geste, die jetzt für so viel Wirbel sorgt. Auch ihre Eltern sind es nicht. Die Schuld liegt bei der Politik. Sie hat es jahrzehntelang versäumt, die bei uns lebenden Türken wirklich in die Gesellschaft zu integrieren. Die türkische Gemeinde bei uns war immer nur dann wichtig, wenn es um Stimmen bei Wahlen ging. Danach wurde sie wieder vernachlässigt. Jetzt besteht allerdings die Chance, dass sich das ändert. Die neue flämische Regierung hat ja die Integration ins Zentrum ihrer Vorhaben gestellt. Hoffentlich werden aus den Fußballbildern die richtigen Lehren gezogen, wünscht sich Het Nieuwsblad.
Gefahr für friedliches Zusammenleben
Gazet van Antwerpen ist kritisch: Es ist sicherlich nicht sehr sinnvoll, militärische Gesten bei Zehnjährigen zu fördern. Erstens sind es noch Kinder und zweitens kann so etwas schnell dazu führen, dass andere provoziert werden. In diesem Fall Kurden oder Syrer. Es ist doch ein hohes Gut, auf das unsere Gesellschaft zurecht stolz sein kann, dass bei uns verschiedene Nationalitäten friedlich nebeneinander leben können. Es muss ja nicht unbedingt miteinander sein. Aber das Miteinander zu fördern ist sicherlich besser, als Handeln zu unterstützen, das spaltet, unterstreicht Gazet van Antwerpen.
Het Belang van Limburg fragt sich: Warum halten die türkischen Fußballclubs, die jetzt kritisiert werden, so sehr an ihren türkischen Wurzeln fest? Wenn sich ein Club Diversität auf die Fahnen schreiben würde, würde es zu solchen Problemen wie jetzt mit dem Gruß nicht kommen. Denn selbst wenn dann zwei oder drei türkische Kinder den Militärgruß nachahmen, weil sie es so bei ihren Vorbildern gesehen haben, würden sie wahrscheinlich von ihren Mitspielern gefragt, was das denn jetzt bedeuten soll. Dann fände eine Auseinandersetzung mit dem Gruß und den Hintergründen dazu statt. Und das wäre besser als das, was wir heute beobachten, meint Het Belang van Limburg.
Politikgestaltung geht auch ohne Regierung
De Morgen berichtet, dass der Justizausschuss der Kammer am Mittwoch einen Gesetzentwurf mit einer parteiübergreifenden Mehrheit annehmen wird, durch den die Verjährung von Kindesmissbrauch abgeschafft wird.
De Morgen findet: Das ist eine äußerst begrüßenswerte Maßnahme. Nicht nur inhaltlich. Sie zeigt auch, dass das Parlament durchaus sinnvoll Politik gestalten kann, auch ohne Regierung. Die Volksvertretung ist ihrem Auftrag, nämlich das Volk zu vertreten, bei diesem Gesetz in beispielhafter Weise gerecht geworden. Denn viele in unserer Gesellschaft stehen hinter diesem Gesetz. Ein Bravo an unsere Politiker. Ja, auch das darf man mal sagen, schließt De Morgen.
Kay Wagner