"Crombez darf mit De Wever sprechen", schreiben Het Laatste Nieuws, De Morgen und De Tijd auf Seite eins. John Crombez, der Vorsitzende der flämischen Sozialisten SP.A, hatte am Abend den Parteivorstand und die Vertreter der Regionalverbände zusammengerufen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden.
Es ist ja so: Der flämische Regierungsbildner, N-VA-Chef Bart De Wever, will offensichtlich jetzt doch einen Gang höher schalten. Es wird erwartet, dass De Wever in den nächsten Tagen die Gespräche mit dem rechtsextremen Vlaams Belang beendet. Beide Parteien hätten ja zusammen keine Mehrheit.
De Wever wird dann also entscheiden, mit wem er Koalitionsverhandlungen aufnehmen möchte. Die liberale OpenVLD gilt als gesetzt. Und SP.A-Chef John Crombez hat jetzt also von seiner Partei das Mandat bekommen, um tatsächlich konkrete Verhandlungen über politische Inhalte mit der N-VA in Angriff nehmen zu können.
Das ist aber kein Freifahrtschein: "Die SP.A hat einen Forderungskatalog für De Wever vorbereitet", bemerkt etwa Het Nieuwsblad auf seiner Titelseite. "Crombez legt die Latte für De Wever hoch", notiert auch Gazet van Antwerpen. Anders gesagt: Die Sozialisten wollen nicht um jeden Preis in die Regierung.
Einige Zeitungen finden eine Koalition zwischen N-VA und SP.A in Flandern aber gar nicht so abwegig: "Gelb und Rot zusammen? Das ist nicht so verrückt, wie es klingt", so die Schlagzeile von De Standaard.
Warum nicht?, meint auch Het Laatste Nieuws in seinem Leitartikel. Man darf doch davon ausgehen, dass auch die N-VA ihre Lehren aus der Wahl gezogen hat. Und die Niederlage der Nationalisten erklärt sich wohl unter anderem dadurch, dass die Wähler die sozialwirtschaftliche Politik der N-VA als zu hart empfunden haben.
De Wever und Co. können zu dem Schluss gekommen sein, dass es jetzt auch mal ein bisschen sozialer sein müsste. Für die SP.A ist das eine gute Nachricht.
Mindestens genauso wichtig wird aber das Klima innerhalb der Regierung sein. Der Erfolg einer Regierung hängt nicht nur ab von ihrer Zusammensetzung, sondern auch von der Frage, wie die Partner miteinander zusammenarbeiten. Ein neues Kabbelkabinett, das wollen die Wähler jedenfalls nicht sehen.
Ein großes Wagnis
Für die SP.A war das keine leichte Entscheidung, analysiert De Morgen. Wie so oft gab es in der Frage, ob man der N-VA die Hand reichen sollte, zwei unterschiedliche Grundeinstellungen: Die pragmatische und die ideologische.
Der Pragmatiker sagt, dass wahre Staatsmännigkeit das Allgemeinwohl über die Parteiinteressen stellt. Demgegenüber steht der Ideologe, der davon überzeugt ist, dass eine Partei nur attraktiv und glaubwürdig ist, wenn sie konsequent an ihren Ideen festhält. Beide Haltungen sind legitim.
In einer Demokratie und insbesondere in einem Land wie Belgien geht es außerdem nicht ohne Kompromisse. Für eine Partei wie die SP.A, die gerade vom Wähler eine schallende Ohrfeige bekommen hat, wäre eine Koalition mit der N-VA dennoch ein großes Wagnis.
Klar ist es das, scheint Het Nieuwsblad einzuhaken. Würde sich die SP.A mit zwei wirtschaftsliberalen Parteien wie der N-VA und der OpenVLD in ein Boot setzen, dann würde sie wahrscheinlich von Groen und der PTB unter Dauerbeschuss genommen.
Allerdings: Zurück in die Wüste der Opposition, das wäre für die Sozialisten genauso gefährlich. Gerade rückt die junge Garde nach. Sich die Sporen zu verdienen, das funktioniert in der Opposition erfahrungsgemäß nicht so gut.
Hinzu kommt: Eine Koalition aus N-VA, OpenVLD und SP.A hätte nur eine knappe Mehrheit von einem Sitz. Die SP.A könnte also deutlich über ihrer Gewichtsklasse boxen. Fazit: Die Möhre, die vor der Nase der Sozialisten baumelt, ist viel verlockender, als viele es zugeben würden.
August-Auszeit
Die frankophonen Blätter blicken ihrerseits naturgemäß auf die Wallonie. Dort wollen sich die drei Verhandlungspartner PS, MR und Ecolo bald eine Pause gönnen wollen. Bis zum 15. August sollen die Arbeiten ruhen.
August-Auszeit also, bemerkt leicht bissig La Libre Belgique. Mal ehrlich: Die bisherige Bilanz nach der Wahl vom 26. Mai ist doch eher dürftig.
Gerade mal zwei Regierungen wurden gebildet – in Brüssel und in der Deutschsprachigen Gemeinschaft. In der Wallonie, in der Französischen Gemeinschaft und in Flandern dagegen Pustekuchen. Nur verlorene Zeit. Von der föderalen Ebene ganz zu schweigen.
Die Grünen wollen offensichtlich nur mit Leuten verhandeln, die so denken wie sie. Die Sozialisten haben nichts dagegen, den Nationalisten zufällig am Buffet zu begegnen. Aber bitte nicht mehr. Und so weiter und so fort. Wenn das so weitergeht, dann treten wir im Jahr 2020 immer noch auf der Stelle.
In der Wallonie haben die Parteien eine Ferienarbeit mit in den Urlaub genommen, meint auch L'Avenir. Wenn man sich auch eine Pause gönnen will, dann heißt das ja wohl nicht, dass dafür auch die Handys aus sein müssen.
Die Experten der Parteien werden sowieso weiter über den Zahlen brüten. PS-Chef Elio Di Rupo hat jedenfalls scheinbar selbstlos angeboten, eine Note auszuformulieren, die als Verhandlungsgrundlage dienen soll.
Man darf davon ausgehen, dass Di Rupo nicht nur den Schriftführer geben will, sondern sich zugleich damit ins Zentrum der Verhandlungen stellt. Wer weiß, vielleicht bringt er sich sogar als der mögliche neue wallonische Ministerpräsident in Stellung.
Le Soir hat offensichtlich ein ähnliches Bauchgefühl: "Was wäre denn, wenn der Regierungsbildner Elio Di Rupo am Ende auch Ministerpräsident würde?", fragt sich das Blatt sogar auf seiner Titelseite.
"Ich hatte Angst, einzuschlafen"
Einige Zeitungen schließlich bringen heute Interviews mit Marie Bastide, genannt "Corine". Das ist ja die Frau, die nach einem Unfall sechs Tage in ihrem Auto überlebt hat.
"Der Gedanke an meine Kinder hielt mich am Leben", sagt sie in La Dernière Heure und Gazet van Antwerpen. "Ich hatte Angst, einzuschlafen", zitiert Het Nieuwsblad die 45-Jährige. Und die Schlagzeile auf Seite eins von De Morgen: "Ich hab' mich gezwungen, am Leben zu bleiben."
Roger Pint