Das Gesicht von Dries Van Langenhove bringen heute die wenigsten Zeitungen auf ihre Titelseite. In den Leitartikeln beschäftigen sie sich aber fast alle mit dem Einzug des jungen Rechtsextremen in die Kammer. Als jüngstem Abgeordneten kommt ihm bei der konstituierenden Sitzung des Parlaments eine Sonderrolle zu. Da wollen nicht alle akzeptieren.
"Tut sie es oder tut sie es nicht?", fragt sich Het Laatste Nieuws. Die Rede ist von der Ecolo-Chefin Zakia Khattabi. Sie hat angekündigt, aus Protest gegen den jungen Abgeordneten des Vlaams Belang ihren Eid nicht heute abzulegen.
Dries Van Langenhove kommt die Rolle des Assistenten des Kammervorsitzenden zu. Aber Khattabi kann seinen Anblick nicht ertragen.
Gegen Van Langenhove wurde diese Woche offiziell ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen Rassismus eingeleitet. Aber was Frau Khattabi da veranstaltet, ist eine Politik des Kopf-in-den-Sand-Steckens.
Wenn es ihr jeder gleichtäte, würden in der Kammer nur noch die Rechtsextremen übrigbleiben. Unsere Demokratie verdient eine entschlossenere Verteidigung, fordert Het Laatste Nieuws.
"Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch"
Wie sollte dem Vlaams Belang in der Kammer begegnet werden?, fragt sich auch La Libre Belgique. Die Strategie von Zakia Khattabi ist sicherlich nicht die beste.
Indem sie die konstituierende Sitzung der Kammer boykottiert, bietet sie dem Vlaams Belang eine weitere unverhoffte Möglichkeit, von sich reden zu machen. Sie riskiert, dass den Rechten in Flandern eine Welle des Mitleids zuteil wird.
Aber diese Abgeordneten wie ganz normale Kollegen zu behandeln, ist auch keine Option. Ihnen muss begegnet und ihr Diskurs widerlegt werden, empfiehlt La Libre Belgique.
Die Banalisierung hat die extreme Rechte noch nie in ihre Schranken verwiesen, bemerkt auch L'Avenir. 1999 lösten Österreichs Konservative Empörung in Europa aus, als sie sich mit der rechtsextremen FPÖ zusammentaten, um ihr das Wasser abzugraben.
Die FPÖ ist heute in Österreich immer noch stark. In anderen Teilen Europas ist die extreme Rechte ebenfalls erstarkt. Die Empörung ist verebbt. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch", schrieb einst Bertolt Brecht.
In Aalst erhalten normale Bürger seit der Wiederauferstehung des Vlaams Belang bei der Wahl vom 26. Mai anonyme rassistische Hassbriefe, mahnt L'Avenir.
Die Frankophonen verstärken die Opferrolle des Vlaams Belang, findet hingegen Het Belang van Limburg. Ob Van Langenhove schuldig ist oder nicht, wird ein Gericht entscheiden.
Bis auf Weiteres bleibt er ein Mitglied der Kammer, das mit nahezu 40.000 Stimmen gewählt wurde. Seine Wortgewandtheit und sein schickes Auftreten machen sich bei den jungen Wählern sichtbar gut. Genauso wie seine Selbstinszenierung als Opfer der traditionellen Politik und "linker" Medien, bemerkt Het Belang van Limburg.
Die Zwickmühle der N-VA
De Standaard kommt auf die Situation der N-VA im EU-Parlament zu sprechen: Seit gestern ist die spanische rechtsextreme Partei Vox offiziell Mitglied der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer.
Mit ihrer Entscheidung, dennoch in dieser Fraktion zu bleiben, stößt die N-VA ihre katalanischen Freunde vor den Kopf. Die anti-katalanische Partei Vox will die spanische Verfassung ändern und die autonomen Regionen des Landes abschaffen.
Das ist nicht das einzige Problem, das die N-VA mit Vox und auch anderen Parteien der Fraktion hat. Für die flämischen Nationalisten ist die Frauenrechtsaktivistin Assita Kanko stellvertretende Fraktionsvorsitzende geworden.
Nun sind aber mehrere Parteien der Gruppe antifeministisch, gegen Abtreibung und gegen gleichen Lohn von Frauen und Männern. Der flämische N-VA-Ministerpräsident Geert Bourgeois, der ebenfalls ins EU-Parlament gewählt wurde, argumentiert, dass es keine andere Wahl gab, als in der Fraktion zu bleiben.
Aber lohnt es sich wirklich, innerhalb einer Fraktion isoliert zu sein? Könnte die N-VA dann nicht gleich fraktionslos bleiben?, fragt sich De Standaard.
Mehr Aufklärung in Gender-Fragen
Le Soir plädiert in seinem Leitartikel für mehr Aufklärung in Gender-Fragen. Seit Januar 2018 erlaubt es ein Gesetz jedem Erwachsenen, mit einem einfachen Verwaltungsschritt Vornamen und geschlechtliche Zuordnung, also Mann oder Frau, zu ändern.
Diejenigen, die sich persönlich mit derlei Identitätsfragen beschäftigen, sehen darin einen wichtigen Schritt vorwärts. Viele Jugendliche äußern heute das Bedürfnis und fordern das Recht ein, nicht auf ihre Geschlechteridentität reduziert zu werden.
Es bleiben viele, für die diese Fragestellung entweder tabu, unbekannt oder völlig unverständlich ist. Das wird dadurch deutlich, dass viele Menschen Geschlechteridentität mit sexueller Orientierung verwechseln. Oder die Angelegenheit als Problem von Transgender-Menschen abtun.
Wer wird nun die Aufklärung betreiben, damit wir offen und nicht klischeebehaftet darüber diskutieren können? Die Aufklärung muss ebenfalls durch den Gesetzgeber angegangen werden.
Ansonsten werden die Diskrepanzen in der Gesellschaft immer größer werden zwischen denjenigen, die Fragen der Geschlechteridentität als etwas völlig Normales betrachten, und denjenigen, die davon abgeschreckt werden und einfach "dagegen" sind, weil es keine Erklärung gibt, warnt Le Soir.
Peter Eßer