"Die Niederlande stimmen für Europa", titelt Het Nieuwsblad. ""Und in den Niederlanden gewinnt... Rot", so die Schlagzeile von Het Laatste Nieuws. "Timmermans führt seine PvdA zu einem unerwarteten Sieg", schreibt De Tijd auf Seite eins.
Die Europawahlen haben schon begonnen. Am Donnerstag hatten zunächst die Niederländer die Möglichkeit, ihre Stimme abzugeben. Das offizielle Ergebnis wird zwar erst am kommenden Sonntag veröffentlicht. Am Donnerstagabend gab es aber schon die Resultate von Nachwahlbefragungen. Demnach wird überraschend die sozialistische Partei von Frans Timmermans stärkste Kraft im nördlichen Nachbarland. Dieser Frans Timmermans ist im Moment Vize-Präsident der EU-Kommission und Spitzenkandidat der europäischen Sozialisten für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker. Die Anti-EU-Parteien, die Rechtspopulisten um Geert Wilders beziehungsweise Thierry Baudet, erlitten eine Niederlage.
Auch in Großbritannien haben am Donnerstag die Europawahlen stattgefunden. Hier könnte die Brexit-Partei um den Rechtspopulisten Nigel Farage stärkste Kraft werden. "Farage gibt sich schon siegessicher", so die Bildüberschrift über einem clownesquen Foto von Farage in Het Laatste Nieuws. Der konservativen Partei von Premierministerin Theresa May droht derweil ein Debakel: "Ist es der letzte Tag von Theresa May in Downing Street?", fragt sich La Libre Belgique. "Für Theresa May ist es der Tag der Entscheidung", glaubt auch L'Echo. Gerüchten zufolge könnte Theresa May am Freitag zurücktreten.
Zum Kopfschütteln
Wenn es nicht so dramatisch wäre, könnte man sich totlachen, meint De Tijd in einem beißenden Kommentar. Man kann nur noch den Kopf schütteln. Zunächst über Theresa May, die sich verzweifelt an ihr Amt klammert. Ebenso skurril ist Nigel Farage, der mit seiner Brexit-Partei einen beeindruckenden Sieg einfahren dürfte, was das politische System auf der Insel nur noch weiter unterminieren wird. Ein harter Brexit wird wieder wahrscheinlicher: May dürfte wohl zurücktreten. Und Nigel Farage mag ein Clown sein, aber er wird sein neuerliches politisches Gewicht vollends in die Waagschale werfen, um den Druck noch zu erhöhen. Der Brexit hat schon jetzt für enormen Schaden gesorgt. Deswegen der Appell an die EU: Die Frist des 31. Oktobers darf nicht noch einmal verlängert werden. Denn ansonsten drohen die Probleme tatsächlich, den Ärmelkanal zu überqueren.
Auch De Morgen fasst sich angesichts des anhaltenden britischen Chaos' an den Kopf: Gerade hat der Stahlkonzern British Steel Konkurs angemeldet. Rund 25.000 Jobs sind bedroht. In der angesehenen Londoner Zeitung The Times stand die Meldung aber erst auf Seite zwölf. Die britische Politik ist nur noch mit sich selbst beschäftigt, blind für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Realität. Die Belgier kennen das. Auch wir haben uns in wirtschaftlich stürmischen Zeiten in erster Linie über gemeinschaftspolitische Probleme gestritten. Das Ende von British Steel sollte dennoch eine Warnung sein: Nicht umsonst haben die Salvinis, Le Pens und Baudets dieser Welt ihre Pläne hinsichtlich eines Austritts aus der EU erst einmal wieder eingemottet.
Ein Fehler, der korrigiert werden muss
Das hindert die anti-europäischen Kräfte freilich nicht daran, bei vielen Wählern zu punkten. Wenn sie denn überhaupt zur Wahl gehen, bemerkt De Standaard. Die Europawahlen locken traditionell kaum jemanden hinterm Ofen hervor. Das Paradoxe ist: Dieses Phänomen verstärkt sich. Wobei die Macht des Parlaments, zumal in den letzten Jahren, doch erheblich größer geworden ist. Womöglich ist das auf ein nach wie vor bestehendes Demokratiedefizit zurückzuführen. Klassischerweise entscheidet die Zusammenstellung des Parlaments über die Zusammenstellung der Regierung. Die EU-Kommission wird aber immer noch von den Mitgliedsstaaten bestimmt. Daran ändert auch das System der Spitzenkandidaten nichts. Dieser Fehler muss korrigiert werden.
Natürlich hat die EU ihre Fehler, räumt Het Belang van Limburg ein. Und genau in diese Bresche springen die Nationalpopulisten. Das macht diese Europawahl ja auch so wichtig. Denn die Rezepte, die Orbán, Salvini oder Le Pen - und Belgien auch der Vlaams Belang - predigen, die haben sich schon längst als Irrweg erwiesen. Isolationismus, das "Jeder für sich", das führt in der Regel in die Katastrophe. Bei aller berechtigten Kritik: Mehr als 70 Jahre Frieden und Wohlstand sollten doch schwerer wiegen.
Von falschen Feinden und desinteressierten Wählern
Einige Zeitungen blicken auf den belgischen Wahlkampf: "Hat sich Bart De Wever im Feind geirrt?", fragt sich etwa Het Laatste Nieuws. Wir erinnern uns etwa an 2007. Der damals 36-jährige De Wever, der noch ungefähr doppelt so viel Körperumfang hatte wie heute, ließ sich neben einem Verkehrsschild fotografieren: ein Warndreieck mit, im Zentrum, einer Fliege. Die Botschaft war klar: Der Feind, das ist Di Rupo. Dieser Di Rupo, den so mancher Beobachter schon beerdigt hatte, der lebt immer noch. Mehr noch: Seine Partei ist quicklebendig. Die PS hat offensichtlich ihre Skandale doch mal wieder gut weggesteckt. De Wever prügelt demgegenüber seit Wochen auf die Grünen ein. Aber nicht vergessen: Nach dem 26. Mai müssen Koalitionen gebildet werden. Zwischen dem N-VA-dominierten Flandern und der "roten" Wallonie wird der Graben noch wesentlich tiefer sein als 2007. Dieses Land ist sich nicht dessen bewusst, wie nah es dem Erstickungstod ist.
Het Nieuwsblad kann dabei nur feststellen, dass all das den Wähler offensichtlich kalt lässt. Dieser Wahlkampf hat niemanden begeistert. Vielmehr ist er an vielen Bürgern regelrecht vorbeigegangen. Oft hört man Sätze wie: "Wie? Die Wahl ist schon am Sonntag?" Das ist keine Anti-Politik, sondern schon Apolitik. Am Sonntag könnte denn auch vor allem das Ergebnis einer Gruppe alle Rekorde brechen: nämlich das der Weißwähler.
Roger Pint