"Der Brexit bleibt ein Kreuzweg", schreibt De Standaard auf Seite eins. "Das britische Parlament sagt 'No' zum 'No deal'", bemerkt L'Echo auf Seite eins. "Die Abgeordneten haben schon wieder 'No' gesagt", notiert auch L'Avenir.
In London ist im Moment nach der Abstimmung vor der Abstimmung. Am Dienstag hatte das Unterhaus mit großer Mehrheit den Deal von Theresa May abgelehnt. Am Mittwochabend stand ein neues Votum an. Mit knapper Mehrheit schlossen die Parlamentarier auch einen "No deal" aus, also einen EU-Austritt Großbritanniens ohne ein Abkommen. "Und am Donnerstag stimmt das britische Parlament über einen Aufschub ab", so die Schlagzeile von De Tijd. "May will einen Aufschub bis zum 30. Juni", präzisiert Het Laatste Nieuws. Allerdings: Der 30. Juni, das ist nach den Europawahlen. Der Umkehrschluss steht auf Seite eins von Le Soir: "May erwägt eine Teilnahme Großbritanniens an den Wahlen zum EU-Parlament".
Die demokratischste aller Optionen
Wenn überhaupt, dann sprechen wir hier über einen begründeten Aufschub, findet De Morgen in seinem Leitartikel. Die Briten müssen erst erklären, wie sie die zusätzliche Zeit zu nutzen gedenken. Und wenn man sich gerade das Meinungsspektrum im britischen Parlament anschaut, dann kann man sich an den fünf Fingern abzählen, dass man sich in London auch noch damit schwertun dürfte, hier eine einheitliche und klare Motivation auszuformulieren. Gerade wegen dieser Zerstrittenheit wäre eigentlich die demokratischste aller Optionen ein Aufschub mit Blick auf Neuwahlen beziehungsweise ein neues Referendum. Dann wüssten wir wenigstens, wie die Briten heute über den Brexit denken und das politische Chaos, das Premierministerin Theresa May nicht mehr unter Kontrolle hat. Und dann könnte sich auch die junge Generation noch einmal über die Zukunft ihres Landes aussprechen.
Aber vielleicht hat das ganze Brexit-Theater auch seine positiven Seiten, meint Het Belang van Limburg. Das absurde Theater in London sorgt dafür, dass der allzu oft unsichtbare Mehrwert des europäischen Projekts plötzlich wieder an die Oberfläche kommt. Zu lange wurde in Debatten lediglich der Fokus auf die politischen Systemfehler gelegt, auf das, was in Europa schiefläuft. Das ist in Teilen bestimmt durchaus berechtigt. Nur haben wir damit auf Dauer die unbestreitbaren Vorzüge der EU aus den Augen verloren. Wenn wir dieses Erbe verteidigen wollen, dann müssen wir uns aber auch infrage stellen. Und das beginnt damit, dass wir wirklich geeignete Politiker in die EU-Institutionen entsenden. Im Moment wirken die Europawahlen jedenfalls eher wie ein Abstellgleis für ausrangierte Politiker.
Die Geschichte vom Honig und den Bienen
Apropos Wahlen, apropos politisches Personal: "Von Journalisten, die in die Politik wechseln", das ist am Donnerstag die Aufmachergeschichte von L'Avenir. Nicht nur in Flandern zaubern die Parteien gerade quasi täglich bekannte Persönlichkeiten aus dem Hut, die man für eine Kandidatur auf einer Wahlliste gewinnen konnte. Auch der frankophone Landesteil kennt dieses Phänomen: Oft sind es hier Journalisten, die sich für eine politische Karriere entscheiden. Jüngstes Beispiel ist der Nachrichtensprecher des Privatsenders RTL TVI, Michel De Maegd. Der hat am Mittwoch angekündigt, auf einer Liste der liberalen MR zu kandidieren. Längst nicht alle dieser Quereinsteiger haben in der Politik Fuß fassen können. La Libre Belgique fasst es in einer Schlagzeile zusammen: "Ruhm und Elend der Stimmenfänger".
Es ist die Geschichte vom Honig und den Bienen, meint La Libre Belgique in ihrem Leitartikel. Was im Norden des Landes der "bekende Vlaming", kurz "BV", das ist im Süden der "Wallon connu", also der "WC". Wenn man sich den politischen Parcours dieser Neulinge anschaut, dann ergibt sich ein eher gemischtes Bild: Es gab solide Karrieren, es gab das große Nichts und es gab regelrechte Flops. Zunächst muss man unterscheiden: Es gibt die Stars und Sternchen, die nur als Dekoration dienen. Und dann gibt es diejenigen, die mit einem aufrichtigen Engagement an die Sache herangehen. Bei Journalisten ist es allerdings so, dass sie ihr höchstes Gut aufgaben müssen, ihre Unabhängigkeit nämlich. Entweder man unterwirft sich - oder man ist raus. Deswegen kann man auch durchaus brillant in einem Leben gewesen sein und ein Totalausfall im nächsten.
Es ehrt unsere Kollegen, wenn sie sich politisch engagieren wollen, bemerkt L'Avenir. Was nicht heißt, dass man das immer grundsätzlich begrüßen muss. Zwischen der Politik und der Presse gab es immer eine Hassliebe. Die Parteien sehen sich jetzt dazu genötigt, neue Wege zu suchen, um sich an die Bürger zu wenden. Da bieten sich Journalisten an, die ja eben Profis in Sachen Kommunikation sind. Einfach nur Journalisten zu rekrutieren, das ist aber oft nicht zielführend. Allzu oft haben wir gesehen, dass Journalisten sich sehr schnell verhalten wie klassische Politiker.
Berühmtheit ist nicht gleichbedeutend mit Glaubwürdigkeit, das eine schließt das andere aber auch nicht aus, meint L'Echo. In jedem Fall sollte der Wähler ganz genau hinschauen. Wichtig ist, dass der Stimmenfänger nicht zum Bauernfänger wird. Letztlich bekommen wir immer die Politiker, die wir verdienen - und wenn man keine Welt der Stars will, dann sollte man keine Stars wählen.
Macht muss immer kontrolliert werden
Einige Zeitungen beschäftigen sich am Donnerstag wieder mit der Visa-Affäre. "De Block übt knallharte Kritik an ihrem Vorgänger Theo Francken", schreibt Gazet van Antwerpen auf Seite eins. Es ist ja so: Als Francken noch Asylstaatssekretär war, da sind auffällig viele humanitäre Visa vergeben worden. Wie sich inzwischen herausgestellt hat, wurden die Listen der Personen, die infrage kommen, von außenstehenden Kontaktpersonen erstellt. Und der eine oder andere soll die Visa buchstäblich verkauft, also Geld dafür genommen haben. Insbesondere wird gegen den N-VA-Politiker Melikan Kucam ermittelt. "107 Menschen, die auf der Kucam-Liste standen, sind verschwunden", schreibt De Morgen in großen Buchstaben auf Seite eins. Diese Leute sind also irgendwann nach Belgien gekommen, aber keiner weiß, wo sie jetzt sind.
Der erste Untersuchungsbericht der Verwaltung ist für Theo Francken desaströs, analysiert Le Soir. Solche Missstände sind für jedes Regierungsmitglied inakzeptabel. Insbesondere gilt das für einen Politiker, der als Staatssekretär für eine harte und unnachgiebige Linie in der Migrationspolitik stand. Das Schlimme ist, dass verschiedene Abgeordnete im Parlament Fragen gestellt hatten über die Vergabe der humanitären Visa. Die Antworten waren, wenn überhaupt, dann vage und ausweichend. Was lernen wir daraus? Macht muss immer kontrolliert werden.
Es wirkt, als sei ein Verfechter undurchlässiger Grenzen zugleich der Pate der assyrischen Mafia, giftet seinerseits Het Laatste Nieuws. Und wenn Francken jetzt tobt, man solle doch bitte keine politischen Spielchen spielen, dann ist das so, als würde der Fußballstar Neymar plötzlich zum Aushängeschild einer Kampagne gegen Schwalben.
Roger Pint