"Bürger bekommen die Macht im deutschsprachigen Belgien", titelt De Standaard. "In Eupen werden die Bürger bald ständig konsultiert", notiert Le Soir auf Seite eins. "Einstimmigkeit zum ständigen Bürgerdialog", schreibt das GrenzEcho auf seiner Titelseite.
Das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft hat am Montag einstimmig ein Dekret angenommen, das den Bürgern weitgehendes Mitspracherecht bei der Gestaltung der Tagespolitik einräumt. Das neue System soll im September starten.
Das GrenzEcho kommentiert: In der Deutschsprachigen Gemeinschaft sollen die Bürger künftig enger in die politische Gestaltung eingebunden werden. Per Dekret wird aus einem ersten, positiv verlaufenden Bürgerdialog zum Thema "Kinderbetreuung" eine feste Einrichtung. Die DG betritt mit diesem Vorschlag Neuland. Man kann die DG und die Macher hinter dem dauerhaften Bürgerdialog bereits jetzt zu diesem Schritt beglückwünschen. Es wird allerdings ein hartes Stück Arbeit werden, die neuen Instrumente dauerhaft im Sinne eines besseren Dienstes am Bürger einzusetzen, dämpft das GrenzEcho allzu hohe Erwartungen.
Le Soir zeigt sich begeistert: Es gibt zwei Arten, auf den angeblichen Graben zwischen Politik und Bürger zu reagieren. Entweder man beklagt sich nur - oder man tut etwas dagegen. Die Deutschsprachige Gemeinschaft hat sich für die zweite Option entschieden. Sie macht sich damit zum Vorreiter in Belgien, gar in ganz Europa. Diese Bürgerversammlungen sind zwar nicht die ersten Versuche in Belgien, Bürger mehr an der Politikgestaltung zu beteiligen, aber nirgends ist das System bislang so ausgefeilt. Das ist bewundernswert, lobt Le Soir.
Muss uns das Sorgen machen?
Mehrere flämische Zeitungen beschäftigen sich in ihren Leitartikeln mit der Feststellung, dass in Antwerpen mehr als die Hälfte der Einwohner einen Migrationshintergrund hat. Dazu fragt Het Nieuwsblad: Ist das überraschend? Eigentlich nicht, Stichwort "Globalisierung". Muss uns das Sorgen machen? Ein bisschen schon. Denn bei den Unter-Zehnjährigen ist der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund sogar noch höher - nämlich 75 Prozent. Solange sie Kinder sind, ist das kein Problem. Doch wenn beim Heranwachsen Eltern entscheiden, dass die Kinder sich auf ihre Wurzeln besinnen sollen, dann fangen die Probleme an. Dann wird plötzlich wieder unterschieden zwischen "uns" und "denen da". Damit das nicht passiert, sind alle in Antwerpen dazu aufgerufen, in ihrem Alltag etwas anderes vorzuleben. Das Miteinanderteilen unserer Unterschiede macht den Reichtum, auch im Erwachsenenleben, weiß Het Nieuwsblad.
Gazet van Antwerpen notiert: Für viele Antwerpener ist das eine beängstigende Feststellung. Denn jetzt ist plötzlich nicht mehr klar, welche Nationengruppe den Ton angibt. Wer bestimmt die Normen? Wer passt sich wem an? In welchem Maße? Dabei sind solche Sorgen eigentlich überflüssig: Antwerpen war immer schon eine Einwandererstadt. Und zum Trost der Verängstigten können wir feststellen: Es gibt ein Element, das alle verbindet, nämlich die Sprache. Deshalb ist es wichtig, dass weiterhin alle Bürger das Niederländisch gut beherrschen, um miteinander reden zu können. So lassen sich Sorgen und Ängste beseitigen und ein Gemeinschaftsleben gestalten, beschwichtigt Gazet van Antwerpen.
Das populistische Geschrei übertönt den Realismus
La Dernière Heure schreibt zu den Wahlkampfversprechen der Parteien: Die sogenannten progressiven Parteien im linken Spektrum überschlagen sich gerade mit vollmundigen Versprechen. Die PTB will das Nettogehalt für alle Belgier um 127 Euro erhöhen. Die PS schlägt Arztbesuche zum Nulltarif vor und die Absenkung des Rentenalters auf 65 Jahre. Ecolo will öffentliche Verkehrsmittel für Arbeitslose und Menschen bis 25 Jahre kostenlos machen. Kandidaten, die realistische Programme vertreten, werden es schwer haben, sich bei soviel populistischem Geschrei Gehör zu verschaffen, ätzt La Dernière Heure.
Die Venezolaner haben Besseres verdient
L'Avenir beschäftigt sich mit der angespannten Situation in Venezuela und warnt: Es sieht ganz danach aus, als ob die USA es auf eine militärische Auseinandersetzung mit Venezuela abgesehen hätten. Trump hat es schon einmal fast zum Krieg kommen lassen - in seiner Auseinandersetzung mit Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un. Im Unterschied zu Nordkorea hat Venezuela keine Atomwaffen. Aber selbst wenn 30 Jahre Chavismus Venezuela ruiniert haben, dürfen nicht alle Reformen in diesem Land durch einen Krieg einfach zerstört werden. Außerdem haben 30 Millionen hungernde Menschen etwas Besseres verdient, als in Chaos und Instabilität zu versinken, mahnt L'Avenir.
Der Leitartikelschreiber von Het Laatste Nieuws berichtet von seinem gestrigen Tag auf der Terrasse eines Restaurants: Wann hat es das schon mal gegeben, dass im Februar ein Kellner fragt, ob man drinnen oder draußen essen möchte? 18,8 Grad - wärmer ist es noch gewesen in einem Februar. Ist damit jetzt der Klimawandel bewiesen? Was wird Greta Thunberg dazu sagen? Ist es jetzt klar, dass wir dem Untergang entgegengehen? Über all das habe ich mich mit meinem Tischnachbarn unterhalten, bei einem Glas Sauvignon Blanc, biologisch angebaut, importiert aus Neuseeland, frotzelt er in Het Laatste Nieuws.
Kay Wagner