"Um seine Bilanz zu verteidigen, übernimmt Charles Michel den MR-Vorsitz", titelt L'Echo. Charles Michel hat also jetzt "zwei Mützen auf", wie es De Morgen formuliert: Einerseits ist er weiterhin der geschäftsführende Premierminister. Zugleich ist er aber auch wieder Präsident seiner Partei.
Die frankophonen Liberalen begründen diesen Schritt damit, dass man klare Verhältnisse schaffen wolle: Der amtierende Premier kandidiert bei den anstehenden Wahlen für die Kammer. Wer, wenn nicht er, könnte also die Bilanz seiner Regierung verteidigen?
Das Ganze ist allerdings nicht ohne Risiko: "Charles Michel spielt Alles oder Nichts", bemerkt etwa Le Soir auf Seite eins.
Gewagt aber mutig
Charles Michel verbindet sein Schicksal mit dem seiner Partei, führt das Blatt in seinem Leitartikel aus. Ein Sieg der MR wäre sein Sieg; Gleiches gilt aber für eine Niederlage. Und angesichts der jüngsten Umfragen ist es, gelinde gesagt, nicht sicher, dass die Blauen am 26. Mai die Sektkorken knallen lassen können.
Allerdings muss man sagen: Michel ist konsequent. Der Mann hat keinen Moment lang Zweifel gehabt, ob seine Entscheidung vor knapp fünf Jahren die richtige war. Dass er jetzt selbst in den Ring steigt, liegt irgendwie in der Natur der Sache. Und eins muss man ihm lassen: Dem Mann fehlt es nicht an Mut und Kampfgeist.
L'Echo sieht das ähnlich. Man muss sich nicht notwendigerweise der Opposition anschließen, die Charles Michel gestern mit wütender Kritik bombardiert hat. PS, CDH und Ecolo hatten ihm vorgeworfen, jetzt nur noch ein Teilzeit-Premier zu sein.
Warum diese künstliche Empörung? Erstens: Als geschäftsführender Premier ist man ohnehin nicht mehr vollzeit beschäftigt. Zweitens: Es gibt nur einen, der auf frankophoner Seite die Bilanz der Föderalregierung fast schon personifiziert. Und das ist nun mal Charles Michel. Wenn die MR sagt, dass der Wahlkampf dadurch lesbarer wird, dann ist das ein durchaus plausibles Argument.
Das liberale Stühlerücken kann man aber auch als Hinweis darauf sehen, dass bei der MR gerade die Panik reagiert, glaubt Het Belang van Limburg. Der Dämpfer, den die frankophonen Liberalen bei der Kommunalwahl haben einstecken müssen, insbesondere in Brüssel, hat die Partei aufgeschreckt.
Jetzt gilt plötzlich: "Alle Mann an Deck". Wenn Charles Michel auch im frankophonen Landesteil nicht wirklich geliebt wird, so ist er doch zumindest allseits bekannt. Diesen Trumpf will die MR jetzt offensichtlich ausspielen.
Parteichef und Premier – Geht das?
La Libre Belgique ist ihrerseits nicht so begeistert. In Belgien ist es zwar nicht illegal, aber doch unüblich, dass ein Premier zugleich der Vorsitzende seiner Partei ist. Ein Premierminister sollte über der Mêlée stehen, überparteilich allein die Interessen des Landes vor Augen haben. Ein Parteichef hingegen denkt nur an seine Truppen.
Mehr noch: Charles Michel hat jetzt sogar die Schlüssel in den Händen mit Blick auf seine eigene Karriere. So könnte etwa der Parteichef Michel entscheiden, dass Charles Michel der nächste belgische EU-Kommissar wird.
Ist das wirklich so schlimm?, fragt sich aber sinngemäß L'Avenir. In anderen Ländern funktioniert das doch. Da ist es sogar eher normal, dass der Regierungschef zugleich der Vorsitzende seiner Partei ist.
Und man sollte sich hier auch nicht in die Tasche lügen: Niemand glaubt doch ernsthaft, dass ein Premierminister mit einem Mal seine Zugehörigkeit zu seiner Sprachgruppe und seiner Partei verloren hätte. Hier geht es um eine Geisteshaltung. In Belgien ist man in dieser Frage eigentlich scheinheilig.
In La Dernière Heure läutet der Parteichef Charles Michel jedenfalls schon einmal seinen Wahlkampf ein. Und der erste Giftpfeil richtet sich gleich auf die Grünen: "Ecolo ist arrogant", sagt Charles Michel auf Seite eins von La Dernière Heure. Parolen reichen nicht; man braucht auch einen bezifferten Plan.
Alle stecken den Kopf in den Sand…
Zweites großes Thema ist die amerikanische Forderung, die Syrienkämpfer nach Europa heimzuholen und hier vor Gericht zu stellen. Der Vorstoß von US-Präsident Donald Trump hat innenpolitisch für mächtig Unruhe gesorgt. "Kampf um die Syrienkämpfer", so formuliert es Het Nieuwsblad.
Aber nicht nur politisch sorgt die Frage nach dem Umgang mit den belgischen Dschihadisten für Diskussionsstoff: "Zweifel bei der Justiz", so sinngemäß die Schlagzeile auf Seite eins von De Tijd. "Wenn man die Syrienkämpfer in Belgien vor Gericht stellen will, dann braucht man Beweise. Im Moment kann man aber schwerlich Ermittler nach Syrien schicken", heißt es etwa bei der föderalen Staatsanwaltschaft.
"Stellt die Dschihadisten vor Ort vor Gericht!", diese Forderung steht denn auch auf der Titelseite von Het Laatste Nieuws. Das sagen so ungefähr alle Parteien. Wie das gehen soll, auf diese Frage hat derzeit aber niemand eine Antwort.
"Was wäre wenn?" - diese Frage hat man sich in dieser Geschichte nie gestellt, meint Het Nieuwsblad. Was wäre, wenn das Kalifat irgendwann kollabiert? Was machen wir dann mit den Dschihadisten, die bei uns aufgewachsen sind? Hier haben alle den Kopf in den Sand gesteckt. Und die Kurzsichtigkeit dauert an. Auch jetzt wünschen sich viele wieder möglichst einfache Lösungen und denken dabei nicht an morgen.
… haben aber schon mal das gleiche Ziel
Immerhin haben alle schon mal das gleiche Ziel, stellt de Tijd fest. Alle wollen Sicherheit, und keiner will ein europäisches Guantanamo. Die Frage nach dem Wie kann dennoch keiner beantworten.
Das alles war doch so vorhersehbar, beklagt auch De Morgen. Entsprechend bedauerlich ist es, dass man jetzt derartig improvisieren muss. Da werden die tollsten Vorschläge in den Raum gestellt. Etwa, dass man die Syrienkämpfer doch im Irak aburteilen könnte.
Wollen wir wirklich unsere innere Sicherheit in die Hände eines Rechtsstaats legen, der den Namen im Grunde nicht verdient? Beruhigt uns das, wenn wir unsere gefährlichsten Verbrecher dem Irak anvertrauen? Die beste Lösung wäre immer noch ein internationaler Gerichtshof, der dann auch nach internationalen Maßstäben arbeiten würde.
Hoffentlich setzt sich diese Idee durch, wünscht sich auch Gazet van Antwerpen. Ein solches Problem kann man nämlich nur gemeinsam lösen.
rop/jp