"Wird Michel diese Woche überstehen?", fragt sich L'Avenir auf Seite eins. "Heute ist ein entscheidender Tag für Michel in der Kammer", bemerkt Le Soir.
Tatsächlich steht heute der erste von zwei potentiell wegweisenden Terminen an: Vor dem Plenum der Kammer wird am Nachmittag Premierminister Charles Michel Rede und Antwort stehen.
Nach dem derzeitigen Stand der Dinge will er dabei nicht die Vertrauensfrage stellen. Seit gestern ist die Suche nach möglicher Unterstützung aus den Reihen der Opposition aber noch aussichtsloser geworden: "Die N-VA und der Premierminister prallen frontal aufeinander", titelt etwa Het Belang van Limburg.
Bislang war es so, dass Michel noch davon ausgehen konnte, dass die N-VA den Haushalt 2019 im Parlament unterstützen würde. Die Partei hatte das Budget schließlich mitgeschnürt und auch noch im Ausschuss mitverabschiedet.
Gestern hat die N-VA aber Bedingungen gestellt für eine Zustimmung zum Haushalt. Die Antwort des Premiers steht unter anderem auf Seite eins von L'Echo und des GrenzEchos: "Ich lasse mich nicht einschüchtern von der Erpressung der N-VA". Het Nieuwsblad zieht seine Schlüsse daraus: "Selbst für den Haushalt kann Michel nicht mehr auf die N-VA zählen". Das erbarmungslose Fazit von De Tijd: "Michel II ist auf einer Straße ins Nirgendwo".
Wie soll der Bürger das noch verstehen?
Die früheren Ehepartner sind von einem Modus Vivendi noch weit entfernt, kann De Standaard nur feststellen. Das geht so weit, dass nicht einmal mehr sicher ist, dass die N-VA einem Haushalt zustimmt, den ihr eigener Finanzminister ausgearbeitet hat.
Der Krieg um die Wahrnehmung geht also weiter: Nach wie vor versuchen die früheren Koalitionspartner, sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Aber egal, wie das Ganze ausgeht, ob nun Neuwahlen oder eine weitgehend ohnmächtige Regierung, das ist ohnehin nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Den Bürgern ist dieses würdelose Schauspiel längst nicht mehr zu verkaufen. Rational ist vielleicht jeder einzelne Schritt noch zu erklären, das Gesamtbild tendiert aber zum Surrealismus.
Für Het Laatste Nieuws ist es eine "Drôle de guerre", ein Sitzkrieg. Im Grunde sind alle schon im Wahlkampfmodus. Das erkennt man an den pathetischen Reaktionen der einzelnen Protagonisten: Bart De Wever war pikiert, weil Charles Michel die N-VA indirekt auf die "falsche Seite der Geschichte" gestellt hatte im Zusammenhang mit dem UN-Migrationspakt - und Michel verlor gestern die Beherrschung und giftete über die angebliche "Erpressung" der N-VA.
Was hat Michel denn geglaubt? Dass die N-VA jetzt plötzlich den Samariter spielen und den Haushalt bedingungslos verabschieden würde? Und wissen Sie was? Es ist nicht einmal sicher, dass Michel ein Misstrauensvotum verlieren würde, weil das eine faktische Koalition zwischen PS und N-VA bedeuten würde. "Wie soll der Bürger das noch verstehen?", fragt Het Laatste Nieuws.
Politische Debatten sollte man nicht als "Zirkus" bezeichnen, meint De Morgen: Das hier ist aber mindestens Theater. Das ist keine Regierung mehr, aber sie will weiter Regierung spielen.
Dabei wäre ein Szenario doch schnell geschrieben: Im Idealfall würde sich Michel vor die Kammer stellen und ein Notprogramm präsentieren. Dafür würde er dann um das Vertrauen des Parlaments bitten. Bekommt er das nicht, dann liegt die Verantwortung bei denen, die mit "Nein" gestimmt haben.
Die derzeitigen Darbietungen, gespickt mit gespielter Empörung, die haben jetzt jedenfalls lange genug gedauert. In einer Demokratie hat der Bürger das Recht, zu wissen, welche Mehrheit es für welches Regierungsprogramm gibt.
"Macht dem Ganzen ein Ende!", fordert auch De Tijd. In der derzeitigen Lage ist es einfach nicht möglich, einfach weiterzumachen und dabei so zu tun, als wäre nichts passiert. Hier geht es um gleich zwei wesentliche Dinge: Resultate und Legitimität. Beides ist im Moment nicht gegeben.
Entweder gibt es noch eine handlungsfähige Regierung, die das Vertrauen des Parlaments hat, und die die sozialökonomische Agenda abarbeiten kann. Oder man setzt Neuwahlen an. Die erste Option wäre die bessere. Der Wahlkampf läuft nicht weg, die Reformen vielleicht schon.
Aber man sollte auch keine Angst vor Neuwahlen haben, findet L'Echo. Was wäre denn in einer Demokratie gesünder, als den Bürgern ihre Stimme zu geben? Die Tatsache, dass im Mai ohnehin schon Wahlen anstehen, darf auch kein Hindernis sein. Es gehört doch schließlich zu den zentralen Merkmalen eines Föderalstaates, dass die verschiedenen Machtebenen unabhängig voneinander funktionieren.
"Kaiser Bart" am Drücker
N-VA-Chef Bart De Wever ist jetzt der Mann am Drücker, analysiert jedenfalls Het Belang van Limburg. Es ist "Kaiser Bart", der über das Schicksal von Michel II entscheidet, indem er den Daumen hebt oder senkt. Insofern steht die N-VA derzeit eindeutig als Sieger da.
Für La Libre Belgique ist die N-VA derweil immer noch der Hauptverantwortliche für die Misere. Vier Jahre lang hat die Partei den Eindruck vermitteln können, wider Erwarten doch ein loyaler Partner sein zu können. Jetzt ist sie doch noch zum Verräter geworden.
Das geht so weit, dass die Nationalisten jetzt sogar de facto ihre eigene Bilanz mit Füßen treten. Dies, indem sie jetzt nur noch Themen wie "Migration" oder "Identität" in den Vordergrund stellen und die Sozial- und Wirtschaftspolitik der letzten vier Jahre ausblenden. Auf die Gefahr hin, ihre wirtschaftsliberale Wählerschaft vor den Kopf zu stoßen. Angesichts eines solchen Zynismus' wird die Bildung der nächsten Regierung schwieriger denn je, so La Libre Belgique.
Neue Umfragen
Genau jetzt, in diesem heiklen Moment, veröffentlichen zwei Zeitungen auch noch eine neue Meinungsumfrage.
La Libre Belgique zieht auf ihrer Titelseite drei Schlussfolgerungen: "Die N-VA bleibt unumgänglich in Flandern", "Ecolo ist stärkste Partei in Brüssel" und "PS und MR verlieren in der Wallonie an Boden".
De Standaard zieht dagegen andere Schlussfolgerungen: "Michel kann die Frankophonen nicht mitnehmen", "Ecolo-Groen ist im Aufwind", "SP.A in einem historischen Keller" und "Francken ist populärer als sein Parteichef". Die Umfrage wurde in der ersten Dezemberwoche durchgeführ - also zwischen dem 3. und dem 8. Dezember: Da hatte die Krise ja gerade erst begonnen.
Dennoch ist das Fazit von La Libre Belgique: "Die N-VA hat tatsächlich ein Interesse an Neuwahlen".
Roger Pint