"Historisch", titeln La Libre Belgique und La Dernière Heure. "Weltmeister!", jubelt Gazet van Antwerpen. "Die Besten der Welt", schreibt Le Soir euphorisch. "Ekstase pur", freut sich das GrenzEcho.
Belgien ist Hockey-Weltmeister. In einem Herzschlagfinale besiegten die Red Lions die Mannschaft aus den Niederlanden ganz knapp in den sogenannten Shootouts. "Nach vier Mal Silber kommt Gold", schreibt Het Laatste Nieuws. "Endlich!", bemerken Het Belang van Limburg und Het Nieuwsblad.
Bislang waren die Red Lions nämlich die ewigen Zweiten. Sogar bei den Olympischen Spielen vor zwei Jahren war es wieder "nur" Silber. Jetzt ist also der Bann gebrochen, können alle Blätter nur feststellen.
Aus dem Hinterzimmer auf die Straße
Neben der Freude stehen viele Titelseiten aber auch im Zeichen der Konsternierung: "Marsch gegen Migration artet in Gewalt aus", titelt etwa Gazet van Antwerpen. De Standaard und De Morgen bringen Fotos der gestrigen Ausschreitungen in Brüssel.
Aufgerufen zu der Kundgebung hatten rechte und rechtsextreme Gruppierungen, allen voran die rechtsradikale Vereinigung "Schild en Vrienden". Die Organisatoren hatten die Demo unter das Motto "Marsch gegen Marrakesch" gestellt. Rund 5.500 Teilnehmer protestierten gegen den UN-Migrationspakt.
Die extreme Rechte zeigt sich inzwischen offen und ungeniert, kann La Dernière Heure nur feststellen. Bislang bewegten sich diese Leute noch in irgendwelchen Hinterzimmern von dubiosen Kneipen oder in geheimen Internetforen. Jetzt bringt man in aller Öffentlichkeit seine abscheuerregenden Ideen zum Ausdruck. Neue Führer wie der Vlaams Belang-Vorsitzende Tom Van Grieken oder Dries Van Langenhove, der Chef von "Schild en Vrienden", geben durch ihr gepflegtes Auftreten dem Ganzen fast noch einen salonfähigen Anstrich. Und den Rassisten ein Forum.
Und das sollte man nicht relativieren, meint sinngemäß Gazet van Antwerpen. Klar: 5.500 Teilnehmer, das ist eigentlich nichts im Vergleich zu den historischen Kundgebungen, die es in diesem Land schon gegeben hat. Man denke nur an den Weißen Marsch mit seinen rund 500.000 Teilnehmern.
Allerdings: Die extreme Rechte hat in Belgien seit der Zwischenkriegszeit nicht mehr so viele Menschen auf die Straße bringen können. Das zeigt: Extrem rechts mobilisiert massiv seine Anhänger. Das hat wohl auch damit zu tun, dass die Migrationsdebatte inzwischen alle anderen Themen in den Schatten stellt. Daran ist die N-VA nicht ganz unschuldig. Deren Chef Bart De Wever hat immer beteuert, dass zwischen seiner Partei und dem Vlaams Belang eine Chinesische Mauer steht. Warum hat denn Theo Francken im Vorfeld dann der Kundgebung seine Unterstützung bekundet? Extremismus sorgt nur für zusätzliche Polarisierung und macht das Problem dadurch noch größer.
Der gestrige Marsch gegen Migration ist der Beweis, dass in Belgien inzwischen auch die Fake News regieren, meint De Morgen. Die Falschinformationen über den UN-Migrationspakt sind mindestens genauso destruktiv wie die Kundgebung selbst.
Nein, es stimmt nicht, dass der Pakt Tür und Tor öffnet für Horden von Migranten. Aber auch die N-VA hat derlei falsche Informationen in die Welt gesetzt. Alle Parteien, die wohl längst in den Wahlkampfmodus geschaltet haben, sollten sich darüber im Klaren sein, was ihre Worte für Konsequenzen haben können. Die Frage ist: Wird es überhaupt noch jemand wagen, Wahlkampf zu führen ohne Fake News?
Woche der Wahrheit
Apropos Innenpolitik: Für die Regierung ist es wohl die Woche der Wahrheit. Das Parlament verlangt ja vom Premierminister, dass er die Vertrauensfrage stellt. Seine Regierung hat aber bekanntlich keine Mehrheit. Es ist denn auch höchst zweifelhaft, dass Michels Minderheitskabinett den Segen des Parlaments bekommt.
"Zieht bitte endlich den Stecker!", fordert denn auch entnervt Het Belang van Limburg. Die politischen Reaktionen und Stellungnahmen vom vergangenen Wochenende lassen nur einen Schluss zu: Das kann nicht funktionieren.
Alle Oppositionsparteien stellen Bedingungen für eine Unterstützung der Regierung. Angefangen bei der N-VA, die keinen Hehl daraus macht, Michel in den Würgegriff nehmen zu wollen. Eigentlich glaubt niemand mehr, dass Michel und seine Equipe noch eine Zukunft haben. Dann zieht doch einen Schlussstrich, meint Het Belang van Limburg.
Het Laatste Nieuws sieht das ähnlich: Bart De Wever hat klargemacht, dass er den Premier nach seiner Pfeife tanzen lassen will. Hier droht die größte Demütigung, die ein Politiker in diesem Land erfahren kann. So kann es unmöglich weitergehen.
Die Zeche zahlt allerdings letztlich mal wieder der Bürger: Politiker schlagen sich die Köpfe ein, der Haushalt entgleist, das Land ist blockiert. Für wie lange? Womöglich für 542 Tage?, fragt sich provokativ Het Laatste Nieuws.
"Zu wenig, zu spät"
Viele Blätter beschäftigen sich schließlich auch noch mit den Ergebnissen der Klimaschutzkonferenz im polnischen Kattowitz: "Dem Abkommen mangelt es an Ehrgeiz", sind sich Le Soir und De Standaard einig.
"Zu wenig, zu spät", beklagt Le Soir auch in seinem Leitartikel. Zwar kann man die Konferenz von Kattowitz nicht als gescheitert betrachten; das Engagement der Staaten wird aber nicht ausreichen. Einziger Hoffnungsschimmer sind die Kundgebungen, bei denen immer mehr Menschen ein bisschen überall für eine entschlossenere Klimaschutzpolitik demonstrieren.
Was wir in Kattowitz gesehen haben, das entspricht leider dem Zeitgeist, analysiert De Standaard. Wie in der Migrationspolitik geht es auch beim Klima letztlich um das Streben nach Souveränität. Auch hier geben Populisten den Ton an, wollen sich nicht in internationale Korsetts zwängen lassen, haben nur die eigenen Interessen vor Augen.
In Belgien beziehungsweise Flandern steht die N-VA auf der Bremse. Der Klimaschutz wird mehr und mehr zu einer ideologischen Auseinandersetzung.
Und daran hat auch die Brüsseler Demo nichts geändert, bei der vor zwei Wochen rund 75.000 Menschen für den Klimaschutz auf die Straße gegangen sind, beklagt La Libre Belgique. Was lernen wir daraus? Die Bürger sollten nicht auf ihre Politiker warten. Wenn wir nicht schnell unser Leben umstellen, dann werden unsere Kinder uns das irgendwann vorhalten.
Roger Pint