"May ist gerettet, ihr Brexit aber weiter bedroht", titelt Le Soir. "Michel macht ohne Vertrauen in der Kammer weiter", so die Schlagzeile bei Het Nieuwsblad. Und De Morgen schreibt zu Bildern von Charles Michel und Theresa May: "Sie halten durch – vorläufig".
Die gestrigen Ereignisse um Premierminister Charles Michel und seine britische Amtskollegin Theresa May bestimmen die Berichterstattungen und Kommentare der Zeitungen. May hat ein Misstrauensvotum ihrer eigenen Partei überlebt, Michel sieht sich nach einer stundenlangen Diskussion gestern in der Kammer mit der Forderung der Opposition konfrontiert, die Vertrauensfrage für seine Minderheitsregierung zu stellen.
L'Avenir kommentiert zu Michel: Es war immer wieder Nein. Nein zu einer Vertrauensabstimmung, nein zu einem Misstrauensvotum. Nein zu vorgezogenen Wahlen. Nein zu Chaos während der kommenden sechs Monate. Der Premier spielte sich als Verführer auf, als Pragmatiker.
Bei der Opposition punktete er damit nicht. Die raufte sich zusammen und verlangt jetzt eine Vertrauensabstimmung. Aber der Schein trügt. Die Opposition ist gar nicht so geeint, wie es aussieht. Vielmehr könnte es ein, dass sie den Premier durch die Vertrauensabstimmung dazu bringen will, sich klar zu entscheiden zwischen der Unterstützung von Mitte-Links oder der Unterstützung des ehemaligen Koalitionspartner N-VA, mutmaßt L'Avenir.
Reine Parteipolitik
Het Laatste Nieuws ärgert sich: Das jämmerliche Schauspiel, dem wir gerade beiwohnen, ist letztlich doch nur rein wahlpolitisches Taktieren. Und das von allen Beteiligten. Das Gejammer der N-VA, sie sei die betrogene Ehegattin, die ihrem untreuen Mann das Frühstück servieren soll, das Weinen in der Regierung wegen des Verlusts des bisherigen Koalitionspartners, die Forderung von Grünen und Sozialisten nach einer klimafreundlichen und sozialeren Politik – denn beide wissen, dass dafür sowieso bis zu den nächsten Wahlen keine Zeit mehr ist.
Im Grunde könnten alle ehrlich sein und jetzt schon sagen: Bis zu diesen Wahlen wird nichts mehr passieren, beklagt Het Laatste Nieuws.
Letzteres befürchtet auch Gazet van Antwerpen und führt aus: Das, was gestern in der Kammer passiert ist, verstehen nur noch wenige Menschen in Belgien. Und interessieren tut es wahrscheinlich keinen so richtig. Vielmehr wollen Bürger Taten sehen von Regierungen, praktische Ergebnisse und nicht solche parteipolitischen Spielchen.
Doch das ist die alte Krankheit der belgischen Politik: Parteipolitik steht über allem und danach erst kommt der Bürger, schimpft Gazet van Antwerpen.
N-VA als Gewinner der Krise
De Morgen analysiert: Schon jetzt kann sich die N-VA als Sieger der Krise sehen. Die flämischen Nationalisten konnten sich wieder profilieren als Rebellen, als eine Partei, die alles anders macht und sich nicht an Traditionen hält.
Gleichzeitig kann sich die N-VA die Erfolge der Regierung Michel I mit auf ihrer Fahne schreiben. Sie kann auch wieder zeigen, wie marode das föderale Staatsgebilde ist, das gerade so schlecht mit der Krise fertig wird. Auf föderaler Ebene herrscht gerade Chaos. Der Konföderalismus, das oberste Ziel der N-VA, kann die Partei jetzt wieder als Argument auspacken, so De Morgen.
De Standaard schreibt zu Michel: Nachdem er am Montag seinen Augenblick des Ruhms auf internationaler Ebene in Marrakesch gehabt hat, erscheint der Premier im eigenen Land jetzt wieder wie ein Zauberlehrling, der mit der Lage nicht zurechtkommt.
Wer für seine Prinzipien gerade steht und dafür sogar den größten Koalitionspartner aus seiner Regierung wirft, der verdient Respekt. Doch dieser Respekt schwindet, wenn – wie Michel jetzt – er danach versucht, die Konsequenzen aus seinem Handel, nämlich die Vertrauensfrage, mit fragwürdigen Mitteln zu umgehen, kritisiert De Standaard.
Nichts wirklich gewonnen für May
Le Soir meint zum gewonnen Misstrauensvotum von Theresa May: Die Zustimmung ihrer Parteifreunde hat sich May teuer erkauft, indem sie jetzt schon darauf verzichtet hat, bei den nächsten Wahlen wieder als Spitzenkandidatin anzutreten.
Doch durch das gewonnene Votum ist im Grunde nichts gelöst. Denn ob May ihren Brexit durchkriegt, ist auch jetzt nicht sicher. Der Widerstand in ihrer Partie bleibt groß. Ganz zu schweigen vom Parlament. Die Unsicherheit, wie Großbritannien seine Scheidung von Europa vollziehen will, bleibt, bilanziert Le Soir.
Die Wirtschaftszeitung De Tijd findet: Es ist bewundernswert, mit was für einer Beharrlichkeit und Ausdauer May ihr Ziel verfolgt. Obwohl sie selbst den Brexit nicht wollte, tut sie jetzt alles dafür, ihn so gut wie möglich durchzubringen. Damit zeigt sie eine Eigenschaft, die Spitzenpolitiker auszeichnet: nämlich ein explosives Dossier nicht explodieren zu lassen, meint De Tijd.
La Dernière Heure kommt auf den Anschlag auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt zurück und stellt fest: Der Attentäter war als Gefährder bekannt und konnte trotzdem Menschen töten.
Dadurch wird die Frage wieder aktuell, wie man mit solchen Gefährdern umgehen soll. In Frankreich soll es Tausende davon geben. Sie die ganze Zeit zu überwachen ist unmöglich. Maßnahmen, um sie zu entradikalisieren, scheinen auch wenig erfolgreich zu sein. Die Frage nach dem Umgang mit Gefährdern bleibt leider bislang eine offene Frage, konstatiert La Dernière Heure.
Kay Wagner