"Belgien setzt jetzt auch einen russischen Diplomaten vor die Tür", titelt heute La Libre Belgique. Vor dem Hintergrund des Giftanschlags auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal in Großbritannien weist nun auch Belgien einen russischen Diplomaten aus. Das beschloss das Kernkabinett gestern Abend nach stundenlangen Beratungen.
Wenn Umsicht und Geduld zu Naivität werden
Dazu meint Het Laatste Nieuws: Nach langem Hin und Her setzt jetzt also auch die belgische Regierung einen Russen vor die Tür. Einen von mehr als hundert Diplomaten für die belgisch-russischen Beziehungen. Aus Solidarität, sagt Außenminister Didier Reynders. Aber mit wem denn? Mit seinem britischen Amtsgenossen Boris Johnson, der Wladimir Putin mit Adolf Hitler vergleicht?
Hinter dem Mordanschlag auf Skripal soll Putin stecken, lautet die Begründung dafür, dass praktisch jedes westliche Land russische Diplomaten ausweist. Doch der Beweis dafür fehlt. Möglicherweise wusste Putin nichts davon, heißt es jetzt, und wurde vom KGB getäuscht, vom russischen Geheimdienst, der immer noch ein Staat im Staat sein soll. Wir Belgier kennen das: Auch bei uns hat die Armeespitze ihre eigene Agenda und verheimlicht der Politik wichtige Informationen. Lektionen in Demokratie? Die Regierung Michel sollte da besser mal vor der eigenen Türe kehren, meint Het Laatste Nieuws.
Die europäischen Regierungschefs sind sehr lange nachsichtig und geduldig gewesen – und das, obwohl Putin versuchte, einen Keil zwischen sie zu treiben, kommentiert Het Nieuwsblad. Der Giftanschlag war der Schritt über die rote Linie. Indem er als einziger keine russischen Diplomaten auswies, wollte Michel den Brückenbauer spielen. Das war naiv. Als ob der Machtpolitiker Putin auf Belgien hören würde. Mit seinem Zögern hat der Premier Belgien als Standort der EU und der Nato keinen Dienst erwiesen. Umsicht ist eine Tugend, genauso, wie Geduld. Doch auf die Dauer werden sie zu Naivität, meint Het Nieuwsblad.
Innovation kann eine Bereicherung sein
Viele Zeitungen kommentieren die gestrige Blockadeaktion der Brüsseler Taxifahrer gegen den Taxi-Plan von Brüssels Mobilitätsminister Pascal Smet und gegen die "Uberisierung" des Sektors. De Morgen schreibt dazu: Von allen Unternehmen, die die Wirtschaft auf den Kopf stellen, ist Uber wahrscheinlich das unsympathischste. Zu Recht zwingen die Regierungen die Plattform zur Einhaltung der Sozialgesetzgebungen und des Verbraucherschutzes. Das wahre Problem ist aber der Taxi-Sektor selbst. Während stinkende Dieselmotoren die Ringstraßen der Hauptstadt blockieren, fahren fast alle Taxen am Amsterdamer Flughafen Schiphol elektrisch. Das ist vielleicht nur ein Beispiel dafür, wie ein Kartell aus Taxi-Unternehmern sich jeglichem Fortschritt verweigert. Es mag manche Taxifahrer erstaunen, aber wir schreiben das Jahr 2018. Ein gut funktionierender Taxi-Service würde als Teil des öffentlichen Verkehrs die Hauptstadt lebenswerter machen. Das ist in Brüssel wohl zu viel verlangt, ärgert sich De Morgen.
Ähnlich kritisch sieht auch De Standaard die gestrige Aktion: Ein Sektor, in dem die Insider den Zugang zum Markt kontrollieren, bedeutet für die Kunden: schlechter Service und hohe Preise. Technologie wie eine Uber-App, die Reisende und Fahrer bequem miteinander in Kontakt bringt, bietet dazu eine willkommene Alternative. Innovation kann eine Bereicherung sein. Mit seiner defensiven Strategie ist der Taxi-Sektor auf dem Holzweg. Er muss sich selbst erneuern. Kunden sind bereit, für einen guten Service zu bezahlen. Sie so wie gestern als Geiseln zu nehmen, ist dagegen sinnlos. Sich in einem veralteten, geschlossenen System zu verschanzen, bietet keine Zukunft, prophezeit De Standaard.
Gazet van Antwerpen kommentiert: Natürlich muss das Recht auf freie Meinungsäußerung und Demonstrationsfreiheit respektiert werden. Müssen wir deshalb solche Aktionen wie gestern akzeptieren? Wenn man nicht kriegt, was man will, blockiert man die Straßen und alles wird geregelt? Ist das die Art und Weise, wie soziale Konflikte geschlichtet werden? Wenn es wenigstens um eine große soziale Ungerechtigkeit ginge, dann könnte man noch Verständnis aufbringen. Aber was macht es für einen Sinn, gegen eine neue Form der Dienstleistung zu kämpfen, die in anderen großen Weltstädten perfekt funktioniert? Warum sollte Uber in Brüssel verboten werden? Wäre es nicht besser gewesen, Uber und alle anderen Akteure an einen Tisch zu bekommen, um über Löhne, Tarife und Arbeitszeiten zu diskutieren? Damit könnte man zumindest soziale Ausbeutung verhindern, empfiehlt Gazet van Antwerpen.
Ungleiche Renten
Le Soir beschäftigt sich in seinem Leitartikel mit der Tatsache, dass Frauen im Schnitt über 600 Euro weniger Rente bekommen als Männer. 1966 forderten die Arbeiterinnen bei FN Herstal gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Bekommen haben sie weder das eine noch das andere. Frauen arbeiten viel öfter in Teilzeit. Ihre Karriere ist kürzer und oft unterbrochen. Manchmal wegen der Kinder, manchmal aber auch wegen Arbeitslosigkeit. Und dann gibt es ja auch noch die gläserne Decke, die Frauen daran hindert, höhere Positionen zu erreichen. Logisch, dass sich diese Ungleichheiten dann niederschlagen, wenn die einen und die anderen in den Ruhestand gehen. Das alles hätte in die Rentenreform einfließen müssen. Die Regierung hat aber daraus keine Priorität gemacht.
Volker Krings