"Nach dem Brexit-Votum ist ganz Europa verunsichert", titelt das Wirtschaftsblatt L'Écho. "Banken erleiden herbe Verluste", schreibt Het Laatste Nieuws. "Allein an der Brüsseler Börse haben sich seit Freitag über 20 Milliarden Euro in Luft aufgelöst", berichtet La Libre Belgique auf ihrer Titelseite.
Der mögliche Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union beherrscht weiter die Schlagzeilen. Europa befürchtet eine Hängepartie mit negativen Auswirkungen für die Wirtschaft. Besonders betroffen ist nach Ansicht von La Libre Belgique die Finanzwelt. Ein Rosenkrieg zwischen London und Brüssel könnte sogar eine neue Bankenkrise auslösen, befürchtet die Zeitung. Wohl auch deshalb drängen die 27 verbleibenden Länder die Briten dazu, so schnell wie möglich klare Verhältnisse zu schaffen. Die Regierung in London scheint aber ratlos und spielt auf Zeit.
Dazu meint De Morgen: Der britische Premier David Cameron hat am Montag die Schaffung einer Expertengruppe angekündigt, die sich mit den Folgen des Brexits befassen soll. "Erst jetzt?", fragt sich das Blatt verdutzt und kann so viel Planlosigkeit nicht nachvollziehen. Fünf Tage sind seit dem historischen Votum vergangen. Milliarden Pfunde sind bereits in Rauch aufgegangen, die Aktienkurse der Banken abgestürzt, Unternehmen haben ihre Investitionen in Europa auf Eis gelegt und die Loslösung Schottlands und Nordirlands vom Vereinigten Königreich droht nicht mehr nur ein Hirngespinst einiger Nationalisten zu bleiben.
Britische Zauberlehrlinge
Die britischen Politiker haben sich in der Brexit-Debatte wie Zauberlehrlinge benommen, haben nur an eigene Interessen gedacht und damit die Zukunft des Landes und der eigenen Bevölkerung aufs Spiel gesetzt. Das große Experiment droht jetzt aus den Fugen zu geraten. Frei nach dem Motto: "Die Geister, die ich rief …", warnt De Morgen. L'Avenir fügt hinzu: In Großbritannien haben die Populisten mit dem Feuer gespielt. Das Haus steht jetzt in Brand. Und anderswo in Europa drohen ähnliche Katastrophen.
Het Belang van Limburg kann die derzeitigen Rachegelüste der Festlandeuropäer gegenüber den Briten zwar nachvollziehen, dennoch sollten beide Seiten jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Wirtschaftlich sind Großbritannien und Europa aufeinander angewiesen. Deswegen sollte man sich bei der Verhandlung der neuen Handelsbeziehungen nicht durch Emotionen leiten lassen. Genau das wirft Het Nieuwsblad Premierminister Charles Michel vor. Der hatte britische Unternehmen am Montag aufgerufen, sich in Belgien niederzulassen. Damit hat Michel nur unnötig Öl ins Feuer gegossen, findet die Zeitung.
Welche EU wollen wir in Zukunft?
Nach der Brexit-Entscheidung sollten sich die Europäer Zeit nehmen, um die Krankheit, an der die EU leidet, richtig zu diagnostizieren, rät De Standaard. Bevor man überstürzt Reformen anstößt, sollte man genau wissen, was schief gelaufen ist. Allerdings ist zu befürchten, dass wegen der Zustände an den Börsen keine Zeit mehr für tiefgehende Analysen bleibt.
"Welches Europa brauchen wir in Zukunft?", fragt sich unterdessen Le Soir. Einen stärkeren Staatenbund oder ein kleineres Kerneuropa? L'Écho glaubt, die Antwort auf diese Frage zu kennen. Wenn die EU die Bürger wieder auf ihre Seite ziehen will, dann muss sie beweisen, dass sie sich um sie sorgt - etwa durch konkrete Sozial- oder Umweltprojekte. Außerdem ist eine politische Union nötig. Zu 27 geht das wohl kaum, gibt die Zeitung zu bedenken.
Während der Brexit noch ungewiss ist, haben die Isländer bereits für den "EM-Exit" der Engländer gesorgt, berichtet De Standaard. Der Fußballzwerg hat die schwachen Engländer mit 2:1 geschlagen und damit ihre Europameisterschaft überraschend beendet. Die passionierten Wikinger stehen jetzt zum ersten Mal überhaupt im Viertelfinale und treten gegen Gastgeber Frankreich an.
Alle wollen nach Lille
Alle Zeitungen sind weiterhin im Bann der Roten Teufel. "Belgien dreht durch", titelt La Dernière Heure. Die Trikots der Nationalmannschaft sind fast überall vergriffen. In den letzten Tagen wurden Zehntausende Exemplare verkauft. Besonders beliebt sind die Shirts mit den Rückennummern von Kevin De Bruyne, Dries Mertens und Eden Hazard. Der Kapitän der belgischen Mannschaft wird auch heute wieder in den höchsten Tönen gelobt. De Morgen nennt ihn "König Hazard". Nach dem beeindruckenden Spiel gegen Ungarn ist jeder begeistert von dem Mann mit Schuhgröße 39,5 - von den belgischen Fans bis zur internationalen Presse.
"Ganz Belgien will am Freitag nach Lille", titelt Het Nieuwsblad. Zehntausende Fans der Roten Teufel werden zum Viertelfinale in der nordfranzösischen Stadt erwartet. Alle Hotels sind ausgebucht, Busunternehmen erhalten unzählige Anfragen. Fazit der Zeitung: Das grenznahe Lille wird am Freitag eine belgische Hochburg sein.
Alain Kniebs - Bild: Oli Scarff/AFP