Wirtschaftlich zählt die Europäische Union zu den ganz Großen in der Welt, das wird niemand in Abrede stellen. Auch bei Forschung und Entwicklung sind wir sicher vorne mit dabei. Noch zumindest. Und was unsere demokratischen Rechte und unseren Lebensstandard angeht, müssen wir uns ganz sicher auch nicht verstecken, im Gegenteil.
Aber wie die meisten von uns wohl schon früh gelernt haben: Aus einem gutsituierten Elternhaus kommen, smart angezogen und höflich sein bringt alles nichts, wenn einen die Schulhofschläger ins Visier nehmen. Und im Gegensatz zur Schule gibt es seit der Machtübernahme von Donald Trump noch nicht mal mehr eine Pausenaufsicht, die uns im Zweifelsfall retten könnte. Schlimmer noch, mittlerweile ist es die ehemalige Pausenaufsicht selbst, die uns mit Prügeln droht, wenn wir unser Pausenbrotgeld nicht freiwillig rausrücken.
So bitter es ist, Einsicht ist ja angeblich der erste Schritt auf dem Weg zur Besserung. Und in dem Fall lautet die Einsicht: Diplomatisch und militärisch sowieso ist die Europäische Union ein Zwerg. Und das haben wir uns übrigens auch selbst eingebrockt mit unserer Gier und Naivität. Niemand hat uns gezwungen, unsere durchaus gar nicht so schlechten militärischen Kapazitäten nach dem angeblichen Ende des Kalten Kriegs verrotten zu lassen. Das war ganz allein unsere Entscheidung.
Gleiche Geschichte mit der Abhängigkeit von Diktatoren mit Rohstoffen in fernen und nicht ganz so fernen Ländern. Das war eine bewusste Entscheidung unsererseits, kein unabwendbares Schicksal, zumindest nicht in diesem Ausmaß. Und es hat uns reich, fett und faul gemacht. Bis wir eben - das konnte doch wirklich niemand ahnen - die Rechnung präsentiert bekommen haben. Beziehungsweise weiter präsentiert bekommen.
Aber gut, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Das Einzige, was wir jetzt noch tun können, ist zusehen, dass es nicht auch noch darin ertrinkt. Dann besteht, zumindest theoretisch, die Chance, dass es irgendwann wieder herausklettern kann.
Kurzfristig bedeutet das erstmal, jegliche Illusionen über Bord zu werfen, die manche in der Europäischen Union vielleicht noch haben - in puncto verlässliche transatlantische Partnerschaft, Frieden im Osten und Nahen Osten oder wirtschaftlich ausgeglichene Beziehungen zum fernen Osten. Im Umkehrschluss heißt das: größtmögliche militärische, strategische und sicher nicht zuletzt wirtschaftliche Autonomie. Und vor allem auch keine Angst davor haben, die dann auch einzusetzen zur Wahrung unserer Interessen und Werte.
Das Einzige, was die Schulhofschläger dieser Welt respektieren, das ist nun mal Stärke und Entschlossenheit. Auch wenn gewisse Mitbürger das weiter nicht wahrhaben wollen: Moralische Überlegenheit allein hat noch nie einen Panzer aufgehalten.
Wird das teuer werden? Sicher. Wird das schwierig werden? Absolut, "schwierig" ist gar kein Ausdruck für die Größe der Herausforderung. Werden die Schulhofschläger alles tun, um das zu sabotieren, wo es nur geht? Werden ihre Fans und Versteher innerhalb der Union das nach Kräften unterstützen? Daran besteht nicht der allergeringste Zweifel. Aber wenn die einzige andere Alternative lautet, sich den Launen und Aggressionen anderer schutz- und hilflos auszuliefern, dann dürfte die Entscheidung eigentlich doch nicht so schwer fallen.
Betonung auf "eigentlich". Weil wie bei so vielen anderen drängenden Problemen unserer Zeit, Stichwort zum Beispiel Klimawandel, tragen am Ende eben trotzdem meistens Bequemlichkeit und die Hoffnung, dass es einen selbst schon nicht erwischen wird, den Sieg davon. Leider.
Boris Schmidt