Kritik ist erlaubt und muss erlaubt bleiben, denn Meinungsfreiheit ist ein Grundprinzip der Demokratie, das unterscheidet uns von totalitären Regimen. Totalitären Regimen wie dem, das die Ukraine seit 2014 unprovoziert mit Tod und Verwüstung überzieht.
Aber nur weil Kritik erlaubt ist, heißt das nicht, dass jede Form von Kritik auch gleich glaubhaft ist. Kritik zum Beispiel, dass Selenskyj den Karlspreis nicht verdient, weil er zu wenig für den Frieden tue, kann legitim sein. Je nachdem, wie sie begründet wird und von wem sie kommt. Wenn mit "mehr für den Frieden tun" gemeint ist, dass sich das ukrainische Volk doch bitte möglichst widerstandslos besetzen, ermorden, vergewaltigen und verstümmeln lassen soll, dann ist das schwer vermittelbar.
Genauso wie die mehr oder weniger unverhohlene Forderung, den Aggressor mit Land zu belohnen. Wenn diese Kritik dann noch aus Kreisen kommt, die weniger für ihre demokratischen Überzeugungen bekannt sind, sondern eher für ihre Verbindungen ins extremistische Spektrum beziehungsweise zu totalitären Regimen, dann hilft das der Glaubwürdigkeit dieser Kritik auch nicht wirklich.
Aber kommen wir zum eigentlichen Kern: Verdienen Selenskyj und das ukrainische Volk Anerkennung und Respekt? Eine sehr subjektive Frage. Fest stehen aber zwei Dinge, die noch nicht einmal die Invasoren und ihre Unterstützer ernsthaft bestreiten können: Sowohl Selenskyj als auch die Ukrainer haben alle überrascht. Die einen im positiven Sinn, die anderen zu ihrem Leidwesen im negativen.
Nicht dass die Ukrainer eine andere Wahl gehabt hätten, zumindest nicht, wenn man die Auslöschung der eigenen Nation, Identität und Freiheiten als Option mal ausblendet. Sie haben natürlich vor allem im Eigeninteresse gehandelt und werden das auch weiter tun - was vollkommen legitim ist. Die berechtigte Frage könnte aber lauten, wie sie sich damit um Europa und die Einheit Europas verdient gemacht haben sollen.
Die Antwort darauf liegt für mich auf der Hand. Selenskyj und das ukrainische Volk sind eine Inspiration und ein Vorbild für die Europäerinnen und Europäer. Das schreibt übrigens sinngemäß auch das Karlspreis-Komitee in seiner Begründung. Ob Selenskyj den mittlerweile vieltausendfach zitierten Spruch "Ich brauche Munition, kein Taxi" in den dunklen Stunden des 25. Februar in Kiew tatsächlich wörtlich so gesagt hat, als die Russen auf die Stadt vorrückten, ist unklar. Aber selbst wenn er ihn nicht gesagt hat, hat er ihn auf jeden Fall gelebt.
Nicht nur er, sondern auch das ukrainische Volk. Durch ihre Weigerung aufzugeben haben sie den Europäern bewiesen, dass es möglich ist, gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner aufzustehen, dass es möglich ist, wider alle Erwartungen für seine Vorstellungen und Werte einzutreten.
Mit ihrem verbissenen Widerstand haben die Ukrainer den Europäern auch die Pistole auf die Brust gesetzt und sie gezwungen, sich nach langen Jahren des Rumeierns endlich klar zu positionieren und gemeinsam zu handeln. Sie haben Europa geholfen, die eigene Stärke und Macht wiederzuentdecken.
Auch dank der Ukrainer ist es den Europäern endlich wie Schuppen von den Augen gefallen, welche Erpressungs-, Manipulations- und Destabilisierungsmaschinerie totalitäre Staaten jahrelang seelenruhig in ihrer Mitte in Stellung bringen konnten, in welche potenziell tödlichen Abhängigkeiten man sich begeben hatte. Eine Erkenntnis, die zumindest einen ersten Schritt zu einem sichereren, unabhängigeren Europa darstellt.
All das sind Verdienste um Europa und um die Einheit Europas gewesen. In puncto Berechtigung ist die Verleihung des diesjährigen Karlspreises an Wolodymyr Selenskyj und das ukrainische Volk also wirklich mehr als gerechtfertigt.
Boris Schmidt
Treffender Kommentar! Danke dafür!
So viel Blödsinn in einem einzigen Beitrag ist kaum zu kommentieren - die vorgegebene Anzahl von Wörtern reicht gar nicht aus. Die Eskalationsspirale startete ab dem 21.11.2013 mit der Weigerung von dem damaligen ukrainischen Präsidenten Janukowytsch, den Erpressungen der EU über ein Assoziierungsabkommen nachzugeben. Kredite und günstige Rohstofflieferungen konnten nun mal auch aus Russland als Alternative bezogen werden. Somit konnte das soziale Elend abgefedert werden, da in der Ukraine aus sowjetischer Zeit sich viele unrentable Staatsbetriebe befinden. Einen EU-Einschluss hätte die Schließung bedeutet - so wie in der DDR 1990/91 und darüber hinaus Russland von wichtigen industriellen Bezugsquellen für ihr Militär - Stahlbau, Motore, Raketen u.s.w. - abgeschnitten (Donbass!). Zelenski hat alle Parteien + die russische Sprache verboten, der Staat ist pleite, sein Volk verblutet - nicht freiwillig, alle Medien sind gleichgeschaltet - ein wahrer Held für die EU-Bürokraten. Ein Vorbild. Er muss unbedingt diesen einen Preis bekommen.
Das ukrainische Volk?
Die Bevölkerung der Ukraine besteht nicht nur aus Ukrainern, sondern auch aus Russen, in Osten dieses Vielvölker-Staates.
Warum hatte die EU denn niemals Interesse für die dort lebende russischsprachige/russische Bevölkerung? Warum wurde die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit nicht in eine mehrsprachige Föderation umgewandelt?
Die EU poliert den Scheinheiligenschein der ukrainischen Politik, wo nur noch Nationalisten das Sagen haben. Wenn im Osten die "Russen" beschossen wurden, das war denen in Kiew egal(seit2014), solange die selber nichts auf die Mütze bekamen. das hat sich 2022 geändert.
Komisch, dass die EU-Verwaltung die nationalistischen Tendenzen in Polen und Ungarn permanent kritisiert, aber in der Ukraine ist das o.k.
EU und Ukraine haben mit Putin einen gemeinsamen Feind, mehr nicht. Auch der ukrainische Nationalismus war/ist ein Feind für den Frieden in Europa.
Dieser BRF-Kommentar zeigt , dass auch der BRF eine einseitige Berichterstattung vorzieht.
Wenn über die Ukraine kritisch berichtet wird, ist man noch lange kein Putin-Unterstützer.
Es fehlt eigentlich nur der Hinweis, Putin habe in Wirklichkeit den Karlspreis verdient, Herr Krapalies.
Aber in einem Punkt haben Sie Recht: “So viel Blödsinn in einem einzigen Beitrag ist kaum zu kommentieren.”
Die bisherigen Preisträger wurden ausgezeichnet nachdem sie etwas für Europa getan haben.Selenskyj wird vorher ausgezeichnet.Denn noch ist nicht erwiesen, ob der ukrainische Abwehrkampf gegen die Invasoren aus Russland irgendein Beitrag zur Europäischen Idee ist.Auch schon vorher hat Europa Handlungsfähigkeit bewiesen. Etwa nach 9/11 oder beim beinahe Bankrott Griechenlands.
Dieser Krieg ist ein Teil des "Great Game" zwischen den Machtblöcken.Das beste wäre, wenn die Ukraine eine Pufferzone zwischen Ost und West bilden würde, ähnlich wie Belgien zwischen Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert.Das würde der Ukraine auch die nötige Ruhe geben, eine eigene Identität zu entwickeln, sich mehr von Russland abzugrenzen und auch mal Demokratie und Rechtsstaat zu etablieren.Denn bis jetzt ist Korruption und Vetternwirtschaft ein großes Problem.Es dauert seine Zeit bis sowjetische Denkmuster verschwinden.
Das trifft es, sehr gute Anmerkungen, Herr Schmidt)! (Und da wir nicht gleichgeschaltet sind, darf natürlich auch der Putin-Streichelzoo hier lamentieren).
Es stimmt, daß die Ukrainer die EU zum Handeln gezwungen haben. Aus dieser Logik heraus müssten viele den Karlspreis bekommen wie zum Beispiel die Verursacher der Schuldenkrise in Griechenland. Die EU hat Einigkeit bewiesen und Maßnahmen beschlossen. Im Prinzip müsste man jedem Verkehrssünder und Ladendieb den Karlspreis verleihen, denn diese Leute verursachen Probleme, die eine grenzüberschreitende Arbeit der Sicherheitsbehörden zwingend notwendig machen.
Danke, Herr Schmetz, für die Wortspende "Putin - Streichelzoo"! Als Österreicherin beantrage ich die Aufnahme dieses Begriffes ins österreichische Wörterbuch, weil er zum "neutralen" Österreich passt wie Kaiserschmarren mit Zwetschkenröster.
Ich sehe mir jetzt die Karlspreisverleihung im WDR an.
Viele Grüße an die Putin-Versteher im Land.
Dann hoffe ich, die Ukraine wird in Zukunft europäische Werte (Toleranz, Demokratie, Rechtsstaat, etc) respektieren. Ich habe da noch meine Zweifel. Sowjetische Denkmuster sind noch ein Problem in der Ukraine.
Es wäre doch schade, wenn diese Preisverleihung ohne positive Konsequenz bleiben würde. Daß es nicht kommt wie vor einigen Jahren als man dem äthiopischen Präsidenten den Nobelpreis verliehen hat und er trotzdem fleißig weiter Krieg geführt hat.