Vor einer Woche fragte ich, wie wohl die Reaktion ausfallen werde in St. Petersburg, wenn die Roten Teufel vor dem Anpfiff niederknieen - wie sie das schon seit einiger Zeit tun, um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen.
Wie zu erwarten gab es von den russischen Rängen feindselige Pfiffe. Dabei hatte sich das Schiedsrichtergespann der Geste sogar angeschlossen. Und die UEFA hochoffiziell nachgelegt, dass sie das gutheiße und den Respekt verlange, der schließlich auch als Aufnäher auf den Trikotärmeln der Spieler prangt. Dass Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow einer Frage nach den Pfiffen bei der Pressekonferenz auswich, das habe nichts mit Fußball zu tun … Nebensache.
Es wird ja auch niemand gezwungen, sich dieser Geste anzuschließen.
Warum es die Franzosen im Spiel gegen Deutschland nicht getan haben, obwohl es ihr Kapitän Hugo Lloris im Vorfeld angekündigt hatte, liegt wohl gerade an dieser Ankündigung selbst. Kurz vor den Regional- und Departementswahlen in Frankreich ergriff die französische Rechte die Gelegenheit beim Schopf, daraus einen vorweggenommenen "Affront" zu konstruieren. Die 1998 noch mit dem nicht unproblematischen Begriff "Black-blanc-beur" gefeierte Auswahl knickte ein. Ob’s, wie von den Franzosen erklärt, daran lag, dass auch die Deutschen zurückgerudert sein sollen: Nebensache.
Auf’m Platz hatten die Franzosen später sowieso das Sagen. Worauf sich die französische Fachzeitung "L’Equipe" zum doppeldeutigen "Comme en 18" verstieg. Sicher eine Anspielung auf die letzte Weltmeisterschaft, aber schon wegen des Rückgriffs auf eine Redewendung, die auf den Ersten Weltkrieg zurückgeht, genauso dumm und deplatziert wie die ständigen "German-Tanks"-Schlagzeilen in den britischen Tabloids. Gott sei Dank wurden die Misstöne vom deutschen Botschafter in Paris sehr souverän vom diplomatischen Parkett gefegt und so zur Nebensache.
Da hatten wir Belgier ja noch Glück, dass wir von der illustren Grande Nation nur zum Fritten-Essen geschickt wurden - zugegeben in einer TV-Expertenrunde, die mehr an "Café du Commerce" erinnerte. Aber vielleicht wird im Fernsehen zwischen und nach den Spielen sowieso viel zu viel geredet. Also: Nebensache.
Völlig im Ton und im Verhalten vergriffen hat sich Österreichs Sorgenkind Marko Arnautovic im Spiel gegen Nordmazedonien. Beschimpfungen und Wortgefechte auf dem Platz gehören zwar immer schon zum Fußballspiel dazu. Arnautovic ist mit seiner Provokation aber zu weit gegangen und wurde zu Recht dafür gesperrt. Schon als Warnung vor möglichen Nachahmern. Nachvollziehen kann ich aber nicht, warum der Verband ihn trotzdem mit nach Amsterdam genommen hat, wo er auf der Tribüne die Kameras auf sich zog - ein Hausarrest hätte ihm besser zu Gesicht gestanden. Was soll‘s: Nebensache.
Daneben kommt ja fast das Sportliche zu kurz: Der Eindruck, den Franzosen, Italiener oder Holländer hinterlassen haben - ganz zu schweigen von Belgiens Roten Teufeln, die in der zweiten Halbzeit gegen Dänemark nun auch "ihr Tafelsilber" ausgepackt haben, wie es die deutschen Kommentatorinnen ganz treffend formulierten. Nur ein paar Worte dazu: Über Inhalt und Form eines Spielkommentars lässt sich ja streiten - zumal bei einem Thema, wo es jeder besser zu wissen glaubt. Die Macho-Häme, die sich diese Woche mal wieder über die beiden Frauen ergossen hat, war in Form und Inhalt aber völlig daneben.
Hauptsache war diese Woche eh der glückliche Ausgang des Schreckmoments um Dänemarks Christian Eriksen: die länderübergreifende Sorge um ihn, das Zusammenstehen der dänischen und finnischen Fans im Stadion von Kopenhagen, die vielen Grußbotschaften wie unter anderem die Widmung von Romelu Lukaku in die Kamera, das Belgien-Trikot mit Genesungswunsch aus den Händen von Jan Vertonghen, der verhaltene Torjubel von Kevin De Bruyne fast an der Stelle des Rasens, wo Eriksen zusammengebrochen war.
Ausgerechnet der Fußball hilft uns zu begreifen, dass es sich es bei ihm eben doch nur um eine Nebensache handelt.
Stephan Pesch