Politik und Sport, das sind zwei Paar Schuhe. So haben es sinngemäß in den vergangenen Tagen gleich mehrere russische Politiker formuliert, angesprochen auf das Gezerre um das EM-Trikot der Ukraine. Dessen Design zeichnet zum einen den Umriss des Landes nach - wirkungsvoll demonstriert in einem Begleitvideo. Die Silhouette schließt die von prorussischen Separatisten kontrollierten Regionen in der Ostukraine ein und die von Russland annektierte Krim.
"No Problem", sagte die UEFA unter Hinweis auf eine entsprechende UN-Resolution. Und selbst von russischer Seite wird das noch spöttisch als Schildbürgerstreich oder "Trompe-l’oeil" abgetan. Zum anderen sorgt der auf den Trikots verewigte Schlachtruf "Ruhm der Ukraine! - Den Helden Ruhm!" nicht erst seit gestern für diplomatische Verwerfungen. Er ist ja auch nicht nur so daher gesagt.
Der Spruch erinnert besonders an die Kollaboration und Verbrechen ukrainischer Nationalisten im Zweiten Weltkrieg. Lange Zeit geächtet, wurde er mit der Maidan-Revolution 2013/14 wieder populär und mittlerweile zur Grußformel von Armee und Polizei.
Wegen des umstrittenen Beiklangs hatte die UEFA die Ukraine aufgefordert, dann wenigstens den zweiten Teil mit den "Helden" von den Kragen der Fußballtrikots zu entfernen. "Dawai, dawai" hat der ukrainische Verband mal eben den ganzen Spruch schnell zur offiziellen Losung seiner Nationalmannschaft gemacht. Frei nach Bill Clinton: It’s politics, stupid!
Politik und Sport nicht zu vermischen klingt bei einem Land wie Russland, das des Staatsdopings überführt wurde, wie blanker Hohn. Womit ich keinesfalls die trotzköpfige Haltung des ukrainischen Verbandes gutheiße.
Genauso wenig wie den Torjubel-Salut von türkischen Nationalspielern nach der Militäroffensive gegen Kurden in Nordsyrien im Herbst 2019. Dem Vorbild verpflichtet hatte sich das dann bis in die Kreisklassen fortgesetzt …
In die Kategorie "unnötig" gehören auch die zum Doppeladler geformten Hände, mit denen die albanisch-stämmigen Schweizer Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri bei der letzten WM den Gegner Serbien provozierten. Was sogar Axel Witsel wegen des gleichen (unschuldigen) Torjubels in Erklärungsnot brachte.
Dürfen also Sportler nicht die große Bühne nutzen, um sich politisch zu äußern, wie es die Regel 50 der Olympischen Charta vorschreibt? Darin ist festgelegt, dass bei den Spielen jegliche "politische, religiöse oder rassistische Demonstration oder Propaganda" nicht gestattet ist.
Und was, wenn es um das Thema Rassismus selbst geht? 1968 wurden die beiden Sprinter John Carlos und Tommie Smith ausgeschlossen, nachdem sie bei der Siegerehrung die Black-Power-Faust gezeigt hatten. Heute ist der Kniefall, mit dem der American-Football-Spieler Colin Kaepernick 2016 während der Nationalhymne gegen Rassismus und Polizeigewalt protestierte, das Symbol der Black-Lives-Matter-Bewegung. Und von vielen Sportteams übernommen worden.
Weniger bezeichnend für die politische Haltung der Sportler als für den Zustand der Gesellschaft ist Folgendes: Wenige Tage vor dem Start der EM wurden die irischen Nationalspieler bei einem Test in Ungarn wegen des Kniefalls ausgebuht. Das musste sich das englische Team zuletzt sogar von eigenen Fans gefallen lassen.
Wir dürfen gespannt sein, wie die Reaktion im zur Hälfte gefüllten Stadion von Sankt Petersburg sein wird, wenn Romelu Lukaku & Co vor dem Anpfiff niederknien.
Stephan Pesch