"Dabei sein ist alles!" Das wird gerne als olympisches Motto zitiert. Auch wenn Pierre de Coubertin, der Vater der modernen Olympischen Spiele, das so nie gesagt hat. Naja, allenfalls so ähnlich. Bei diesen Spielen dabei zu sein, ist aber in der Tat für viele Sportler zumindest fast alles.
Jahrelang trainieren sie unter großen Entbehrungen auf diesen Wettkampf hin und haben je nach Sportart und Leistungskurve womöglich nur einmal im Leben die Gelegenheit dazu. So wurde zuletzt argumentiert, wenn es um die Frage ging, "ob denn nicht dann doch auch" die potenziellen Olympiateilnehmer in der Impfreihenfolge vorzuziehen wären.
Es gehe ja nicht darum, die bisherige Priorisierung auf die Risikogruppen auszuhebeln oder eine Extrawurst gebraten zu bekommen, sagte beispielsweise Olav Spahl, Sportdirektor beim Belgischen Olympischen und Interföderalen Komitee. Aber die Zeit dränge. Zumal viele Olympioniken ihr Ticket für Tokio noch gar nicht in der Tasche haben. Darum müssen sie links und rechts an Qualifikationswettkämpfen teilnehmen - mit allen Risiken, die das birgt.
Seit Anfang dieser Woche haben Olav Spahl und seine Sportler vom "Team Belgium" diese Sorge weniger. Von den Gesundheitsministern haben sie eine Freigabe zum Frühstart beim Impfen bekommen - zeitgleich mit den Wärtern und einem Teil der Insassen in den Gefängnissen.
Ja, sicher, das sind bei den belgischen Teilnehmern an den Olympischen und Paralympischen Spielen jetzt erstmal "nur" 225 Impfkandidaten. Also kaum der Rede wert. Nicht zu Unrecht schlugen aber die Trainer und sonstigen Betreuer der Sportler Alarm: "Und was ist mit uns?"
Und nicht nur mit ihnen: Im Unterrichtswesen und in der Kinderbetreuung ist der Ärger groß über die Vorrangbehandlung der anderen. Erinnern wir uns nur an den ins Leere gelaufenen Vorstoß von Karl-Heinz Rummenigge. Der Bayern-Boss fühlte sich missverstanden, wo er doch nur die Vorbildfunktion seiner Profis ins Spiel bringen wollte … Über die Vorbildfunktion des Profifußballs könnten wir so einiges erzählen, aber lassen wir das an dieser Stelle.
Kommen wir zurück zur Priorisierung beim Impfen: Dass der Spitzensportler auch in dieser lebenswichtigen Frage eine höhere Wertschätzung erfährt als beispielsweise die Kassiererin im Supermarkt, die Tagesmutter, Kindergärtnerin oder der Lehrer im Klassenzimmer dürfte nicht wirklich überraschen. Es ändert aber nichts daran, wie es auch der Lehrer und frühere Handballer Andreas Jerusalem im PDG-Ausschuss sagte: Das Signal ist fatal.
Spätestens bei der Eröffnungsfeier in Tokio wird aber auch das vergeben und vergessen sein, wenn die Impfkampagne weiter so voranschreitet wie zuletzt. Da brauchen wir uns ja nur in unserem Verwandten- und Bekanntenkreis umzuhören. Nun geht die EU-Kommission wieder optimistischer davon aus, dass bis Juli 70 Prozent der erwachsenen Europäer gegen Covid geimpft sein sollten.
Bis dahin und auch dann noch werden weitere Fragen zu beantworten sein: Wie wird mit Geimpften oder Nicht-Geimpften umgegangen? Wer darf was? Wer wird wo hereingelassen? Was ist mit denen, die sich nicht impfen lassen können - oder wollen? Was ist mit der Impfung von Kindern oder zumindest doch Jugendlichen?
Vor der Beantwortung dieser Fragen sollten wir uns über eines im Klaren sein: Die Impfung ist ein Schutz, sie ist kein Freibrief.
Stephan Pesch
Sehr richtig!
Die Impfung ist keine Freibrief. Zumindest solange die Herdenimmunität nicht erreicht und nicht geklärt ist, was dies genau für das Infektionsgeschehen bedeutet.
Diejenigen, die sich nicht impfen lassen und ihren solidarischen Beitrag nicht leisten wollen, können nicht erwarten, in gleichem Maße von Erleichterungen wie Geimpfte (oder nachweißlich negativ Getestete) profitieren zu können.
Zum einen gefährden sie in stärkerem Maße andere Nichtgeimpfte und zum anderen kompromittieren sie durch ihre Verweigerung die Eindämmung der Pandemie.
Dies hat einen gesellschaftlichen und individuellen Preis.
Herr Leonard
Danke für ihre Belehrungen