Bevor wir mit Politikerschelte beginnen, sollte man einen Schuldigen nicht vergessen: Das Volk. Die Wähler haben die Karten so gemischt, dass eine Regierungsbildung mehr erfordert, als eins und eins zusammenzuzählen.
Wer Wahlgewinner oder -Verlierer ist, ist aber letztendlich egal. Es kommt auf Sitze an. Und davon hat die N-VA nach wie vor die meisten. Die größte politische Familie bilden unterdessen die Sozialisten. Eigentlich sind beide Gruppierungen zum miteinander Regieren verdonnert.
Eine Föderalregierung ohne Bart De Wevers N-VA wäre zwar möglich, aber eine Regierung ohne flämische Mehrheit wurde von den flämischen Parteien ausgeschlossen. Zudem hoffen nicht wenige, dass sich PS und N-VA gegenseitig zerreiben.
Die Bewegungslosigkeit der Parteien hat wohl auch mit taktischen Überlegungen zu tun. Wer andeutet, einen Kompromiss einzugehen, über den fallen gleich die Wölfe her.
PS-Präsident Elio Di Rupo soll davon träumen, wieder Premierminister zu werden. Ein Alptraum für seinen in der Partei ebenso mächtigen Kronprinzen Paul Magnette, der bei einer Regierungsbeteiligung mit der N-VA jetzt schon den heißen Atem der PTB bis zu den nächsten Wahlen im Nacken spürt.
Auch PR-Meisterstratege Bart De Wever steht bei seinen noch geduldigen Anhängern unter Druck. Denn seine Leistungsbilanz ist alles andere als eine reine Erfolgsgeschichte.
Wie sehr wurde De Wever nicht bejubelt, den rechtsextremistischen Vlaams Belang in die Bedeutungslosigkeit geschickt zu haben. Jetzt ist er wieder da.
2014 hatte De Wevers Partei eine bittere Pille schlucken müssen. Auf Programmpunkt Nr. 1 - mehr Autonomie für Flandern - wurde verzichtet, um einer Regierung ohne den Lieblingsfeind PS beizutreten. Das hatte für De Wever schon den Wert einer Staatsreform. Jetzt muss er den Sozialisten wieder die Hand reichen.
Kaum zu glauben, dass die N-VA noch vor Ende der Legislatur aus ihrer Traumkoalition geflüchtet ist - mit dem Ergebnis neuer Haushaltsdefizite. Und das, obwohl ausgeglichene Haushalte als oberste Priorität bezeichnet worden waren.
Was macht Stratege De Wever aus dem Schlamassel? Er präsentiert zur Ablenkung einen neuen Lieblingsfeind: Die Grünen. Im Wahlkampf warnte er vor einem Steuer-Tsunami, sollten die Grünen an die Macht kommen.
Und was machen die Grünen? Sie spielen De Wevers Spiel auch noch mit.
Trauriger Tiefpunkt war das Rundtischgespräch, zu dem die Informatoren Reynders und Vande Lanotte Ende Juli eingeladen hatten. Ecolo nahm aus Abneigung gegen die N-VA nicht mal an dem Treffen teil.
Wohl aber die Parteifreunde von Groen, mit denen man im Wahlkampf noch Seit‘ an Seit‘ als die angeblich einzig wahre belgische Partei gestanden hat. So viel zu den selbsternannten Brückenbauern, die die Welt verändern möchten, aber nicht zwingend einer Regierung beitreten.
Dass eine Partei sich selbst schon ins Abseits stellt, wenn nur geredet werden soll, ist erschreckend. Sogar Donald Trump und Kim Jong Un haben es an einen Tisch geschafft.
Dabei mag Ecolo und N-VA inhaltlich vieles trennen, aber nicht unbedingt ihre Wähler. Denn Untersuchungen haben gezeigt, dass eher ein wohlhabenderes Publikum beide Parteien wählt. Wer Angst vor dem Ende der Welt hat, wählt grün. Wer Angst vor dem Ende des Monats hat, rot oder extremistisch.
Sicher ist: Kompromisse sind gefragt. Wenn sich keine Partei bewegt, führt das zwangsläufig zu Neuwahlen. Eine riskante Lösung.
Die Angst, dass diese Wahl ein Votum über den Fortbestand Belgiens werden könnte, ist berechtigt. Vielleicht wartet Bart De Wever ja nur darauf.
Manuel Zimmermann