Hut ab vor dem König und seinen Beratern. Dank König Philippe und seiner weisen Entscheidung von Donnerstag, Didier Reynders und Johan Vande Lanotte als Informatoren zu benennen, hat der Monarch Belgien genau das gegeben, was dieses Land jetzt dringend nötig hatte: nämlich Ruhe, eine Pause. Zeit zum Durchatmen, zum Runterkommen, zum Entspannen. Zumindest ein bisschen.
Nächste Woche lässt sich dann vielleicht schon wieder mit kühlerem Kopf über alles diskutieren. Erste ruhige Gespräche unter Ausschluss der Öffentlichkeit werden geführt worden sein. Und das von zwei Politikern, deren Wahl zwar überrascht, sich beim näheren Hinsehen aber als quasi perfekt darstellt.
Ruhe, das war jetzt auch unbedingt nötig. In zu viele Richtungen gingen schon die Spekulationen, Ideen und wahrscheinlich vorschnellen Urteile, nachdem das Wahlergebnis am frühen Montagmorgen feststand. Was wurde da alles gesagt? Belgien ist unregierbar. Die Lösung liege in der Abspaltung von Flandern, sagte Bart De Wever. Ganz und gar nicht, erwiderte Elio Di Rupo. Wenn man die N-VA und natürlich den Vlaams Belang auf flämischer Seite außen vorließe, könne man durchaus eine gute Regierung für das Land bilden. Reaktion: aufheulen im Norden, von fast allen.
Neuwahlen sahen andere schon als unausweichlich. Die Zeitung L'Avenir begann bereits damit, die Tage zu zählen, wie lang das Land jetzt schon ohne Regierung ist. Als ob es darum ging, einen neuen Rekord aufzustellen.
Die Aufregung darüber, dass der König den Parteivorsitzenden des Vlaams Belang letztlich doch zu Konsultation empfing, erhitzte die Gemüter noch ein wenig mehr. Ein Rechtsextremer im Palast - darf der König das? Ist der "Cordon sanitaire", die Bannmeile, die es um den Vlaams Belang gegeben hat, damit gebrochen?
Mit ein bisschen Abstand betrachtet wirken die Ereignisse der vergangenen Tage tatsächlich wenig souverän für ein Land, das doch so viel Erfahrung mit schier aussichtslosen Situationen bei der Suche nach Regierungen hat. In diese Aufregung jetzt etwas Ruhe zu bringen, ist genau das richtige.
Was wäre die Alternative gewesen? Der König hätte warten können - dann hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere wild ins Kraut schießende Äußerungen gegeben, Sticheleien und Aufreger. Das Klima hätte sich wohl noch weiter vergiftet. Der König hätte Bart De Wever oder Elio Di Rupo, die Vorsitzenden der stärksten Parteien, als quasi natürliche Informatoren ernennen können. Beide wären ein rotes Tuch gewesen. Der eine in Flandern, der andere in der Wallonie.
Die Lösung mit Reynders und Vande Lanotte ist dagegen ausgeglichen und lässt sich gut begründen. Sowohl die Flamen als auch die Wallonen haben damit ihren Informator. Der Wallone Reynders kann zudem gut mit der N-VA von Bart De Wever, der Sozialist Vande Lanotte natürlich gut mit der PS von Elio Di Rupo. Beide repräsentieren die beiden stärksten Parteifamilien in der Kammer, beide sind erfahren in der föderalen Politik, beide über den Verdacht erhaben, das Land spalten zu wollen.
Beide senden dank all dieser Eigenschaften ein bisschen Hoffnung aus. Hoffnung, dass es doch noch etwas werden könnte. Dass es irgendwie klappen könnte, mit dem Wahlergebnis von Sonntag eine Regierung zu bilden. Diese Hoffnung mag unbegründet sein - aber sie hat jetzt zumindest Platz, mal aufzutauchen zwischen all den Untergangsszenarien und Negativzeichnungen der vergangenen Tage.
Jeder, der mal gestritten hat, weiß, wie gut es tut, einfach mal Pause in dem Streit zu machen. Tief durchzuatmen und Luft zu holen. Vielleicht sogar eine Nacht über alles zu schlafen. Danach können Dinge mit mehr Ruhe anders gesehen werden. Können, müssen nicht - aber die Chance besteht. Belgien auf der Suche nach einer neuen Regierung bekommt jetzt diese Chance. Die Politiker sollten diese Chance ergreifen.
Kay Wagner