Der Druck ist jetzt erstmal vom Kessel. Mit der Fristverlängerung bis zum 31. Oktober gewinnen alle etwas Zeit. Dabei gab es davon eigentlich genügend. Doch die hat man in London verschwendet, und darüber hinaus auch einige grobe handwerkliche Fehler gemacht.
Der größte: Sich keine Gedanken darüber zu machen, wie der Austritt aus der EU aussehen soll. Und das fällt den Briten jetzt auf Füße. Denn mit der EU haben sie eine Verhandlungspartnerin, die ausnahmsweise mal zu wissen scheint, was sie will.
Diese Einigkeit der EU verwundert. Während man in vielen wichtigen Fragen einfach nicht zu Potte kommt, beispielsweise bei der Verteilung von Flüchtlingen, bei der Besteuerung von Großkonzernen, bei der Neuausrichtung der Agrarindustrie oder im Kampf gegen den Abbau von Rechtsstaat, Demokratie und Meinungsfreiheit in einigen osteuropäischen Ländern, ziehen in der Brexit-Krise alle an einem Strang.
Klar, hinter den Kulissen wurde Mittwochnacht sicherlich gefeilscht. Doch innerhalb weniger Stunden war die Entscheidung da. Und es sieht so aus, als könnten alle mit diesem Kompromiss leben.
Beim Brexit gibt es auch ein gemeinsames Interesse: Am liebsten gar keinen Brexit, und wenn, dann so schmerzlos wie möglich, zumindest für die 27 verbliebenen Mitgliedsländer.
Und so kann man die Haltung der EU in der Brexit-Frage auch nachvollziehen, auch wenn man von der Arroganz und Ignoranz der britischen Politiker so genervt sein kann, dass man ihnen am liebsten sagen würde: Jetzt haut doch endlich ab!
Denken ja, aber tun nicht. Die EU ist besser dran, in ihren Kernprinzipien unnachgiebig zu sein, rote Linien zu haben, aber die Botschaft an die Briten muss immer lauten: Ihr könnt gehen, aber ihr müsst nicht! Und wenn ja, bleiben wir trotzdem Freunde.
Das kann man der EU als Schwäche auslegen, aber es ist nun mal ihr Wesen: konsequente Inkonsequenz. Und nicht die EU macht sich in der Brexit-Krise lächerlich, sondern das Uneinige Königreich.
Man wünscht sich, das ginge bei anderen Themen mindestens genauso geschmeidig. Doch davon ist die EU noch weit entfernt.
Denn oft sind den Mitgliedsländern dann doch die eigenen Interessen wichtiger. Erst recht mit dem Erstarken der Nationalisten und Populisten.
Ein Blick in den Rest der Welt sollte eigentlich genügen, um zu sehen was passieren kann, wenn Spaltung, Egoismus und Hass, Teil des offiziellen Regierungsprogramms sind.
Man kann nur hoffen, dass den Europäern dieser Blödsinn erspart bleibt.
Volker Krings