Paul Magnette ist praktisch über Nacht zu einem politischen Shooting-Star avanciert. Die Blockadehaltung des sozialistischen wallonischen Ministerpräsidenten gegenüber Ceta und der Europäischen Union hat seine Bekanntheit über den Kontinent hinaus in ungeahnte Dimensionen befördert.
Die Welt spricht zur Zeit über Paul Magnette, den "schönen Paul", wie er von einem Brüsseler ARD-Korrespondenten genannt wurde. Magnette hat Angela Merkel und Donald Trump für ein paar Tage die Schlagzeilenhoheit und die Schau gestohlen. Inzwischen weiß man auch in Hintertupfingen, dass es eine belgische Region gibt, die Wallonie heißt. Und dass deren politischer Häuptling offenbar nicht vom Stamme "Sanfte Rothaut" ist.
In Belgien selbst, im Land des Surrealismus', hat Magnette sich den Zorn der liberalen Freidenker und der europäischen Eiferer zugezogen, zu denen sich plötzlich auch die flämischen Nationalisten gesellten. Mag sein, dass eine gewisse Profilneurose Magnette in seinem Kampf beflügelt hat. Aber für die Sache ist das unerheblich. Am Ende, sagen vor allem linke und grüne Kritiker, sei Magnette eingeknickt. Die Verhandlungsergebnisse reichen ihnen nicht aus.
Der wallonische MP verweist jedoch zurecht darauf, dass über Zusatzklauseln entscheidende Bedingungen nun erfüllt seien: Ausstiegsmöglichkeiten, besserer Verbraucher-, Sozial- und Landwirtschaftsschutz und vor allem keine privaten Schiedsgerichte. Magnette hat letztlich dem Land gedient und es schon gar nicht blamiert. Das belgische Image und besonders das der Wallonen hat eher eine Aufwertung erfahren.
Unterdessen hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wieder einmal rhetorisch auf die Pauke gehauen. Er verlangt, dass künftig europäische Entscheidungen von einer Tragweite à la Ceta, bitteschön, vom Europaparlament zu treffen seien und nicht von Länderparlamenten, schon gar nicht von Teilstaaten. Damit die EU politisch handlungsfähig bleibt.
Falsch: Ihre Handlungsunfähigkeit hat die EU auch ohne den störenden Eingriff von Teilstaaten in zahlreichen Fällen unter Beweis gestellt. Am eindrucksvollsten im negativen Sinn in der Flüchtlingsproblematik, der Griechenlandkrise und beim Brexit. Bei Ceta, dem Freihhandelsabkommen mit dem freundlichen und stets auf Zugeständnisse bedachten Kanada, wollte man endlich wieder punkten und in einem Aufwisch sozusagen den Weg freischaufeln für das wesentlich gefährlichere TTIP-Abkommen mit den Vereinigten Staaten.
Aber wieder einmal wollte die EU die steile Treppe mit einem Schritt nehmen, statt Stufe um Stufe emporzusteigen. Warum keine kleineren Einzelverträge? Sie hätten im realen Handelsalltag für spürbare Verbesserungen gesorgt. Das gewaltige Ceta-Konvolut hingegen ist geistig, inhaltlich, fachlich so opulent, dass es Politiker, Experten, Journalisten, im Grunde alle Bürger, vollkommen überfordert. Wer blickt da noch durch? Viel zu schwere Kost. Und schon von daher verdächtig ungesund.
Aber: Ceta ist längst nicht gebacken. Das hat auch DG-Ministerpräsident Oliver Paasch erläutert, der im Namen der Gemeinschaftsregierung an diesem Freitag der Föderalregierung die Unterschriftsvollmacht erteilt hat. Die Zustimmung aller EU-Mitgliedsstaaten reicht aber keineswegs, damit das Abkommen in seiner Gänze in Kraft treten kann. Es folgt die Ratifizierungsphase, in der die Parlamente Stopp sagen können - auch das DG-Parlament.
Im Übrigen: Ebenso wie Magnette haben Paasch und Kollegen den richtigen Weg gewählt. Auch wenn es zwischenzeitlich den Anschein hatte, als habe die DG-Regierung keinen eigenen Standpunkt zu Ceta. Hatte und hat sie sehr wohl. Eine Abstimmung - im doppelten Sinne - mit den Wallonen ändert daran nichts.
Ceta ist eine weitere Nagelprobe für die Europäische Union. Wer wie Juncker Europa von oben, aus Brüssel, gestalten will, gegen den Willen der Basis, wird auf Dauer scheitern. Magnette und die Wallonen, beileibe keine Wutbürger, haben noch einmal aufgezeigt, wie fragil die EU ist. Sie benötigt nicht weniger, sondern mehr Demokratie.
Rudi Schroeder
Danke Herr Schroeder!
Besser und weitsichtiger hätte man es nicht formulieren können. Schade das man diesen Kommentar nicht als Beilage zu "irgendwas" in alle Haushalte der DG verschicken kann und noch wichtiger wäre es diesen Kommentar den arroganten Chefredakteuren der großen deutschen Tageszeitungen auf s Fax zu legen. Unglaublich was das so abgegangen ist.
Danke, Herr Schroeder. Aber der vorletzte Abschnitt???