Der Vater: ein Hafeningenieur in Duisburg, wo sie 1914 geboren wurde. Er stammte aus Schlesien und starb kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wenige Monate nach der Geburt der Tochter, an der Westfront. Die Mutter, aus Bingen am Rhein, lernte später den gebürtigen Elsenborner Bernhard Willems kennen, der zu der Zeit in Malmedy unterrichtete. Der Stiefvater wurde zum Mentor von Irene Janetzky und unterstützte sie nach Kräften bei ihren ersten Schritten im Rundfunk, beim damaligen Institut national de radiodiffusion (INR), das nach dem Krieg mit "Sendungen in deutscher Sprache" für die Bevölkerung im Osten des Landes beauftragt wurde.
Eine einmalige und wegweisende Chance für die damals 31-jährige Frau, die nach der Trennung von ihrem Mann, dem Leutnant Vanhaeverbeke, auf Stellensuche war. Ihr Sohn Guy erinnert sich: "So erfuhr sie tatsächlich, dass die belgische Regierung die Absicht hatte, den deutschsprachigen Belgiern ein eigenes, deutschsprachiges Radio zu schaffen und meine Mama wagte es, ihre Kandidatur einzureichen und wurde von den belgischen Radiobehörden akzeptiert."
Und das war nur wenige Monate nach dem Krieg sicher nicht selbstverständlich, wie sich Irene Janetzky 1985 im BRF-Interview bei Peter Thomas erinnerte: "Es war nicht leicht. Denn wir bekamen ja auch Briefe aus der Wallonie: Warum eine deutschsprachige Sendung? Man wollte ein Bindeglied herstellen. Die Politiker nannten es immer zu der Zeit 'Le cordon ombilical' - die Nabelschnur mit Brüssel, mit Belgien."
Nach eigenen Worten konnte sich Janetzky gegen drei flämische Mitbewerber durchsetzen. Sohn Guy, heute 84 Jahre alt, erinnert sich noch gut an das Auswahlverfahren. "Ich war sehr stolz als junger Bub. Ich erfuhr, dass die Jury besonders die goldene Stimme meiner Mama lobte. Diese goldene Stimme ist all die Jahre geblieben und war ein Kennzeichen der Sendung."
Mit 40 Jahren Abstand schilderte Irene Janetzky die Anfänge: "Dann kam die erste Sendung. Das war natürlich furchtbar aufregend (…) und ich zitterte an Leib und Seele. Ich hatte die belgischen Nachrichten übersetzt, Inlands- und Auslandsnachrichten. Dazu kam noch eine Chronik. Aber ich könnte Ihnen wirklich nicht mehr sagen, was an dem Tag los war. Und ich musste runter zur Diskothek und auch die Schallplatten aussuchen. Schließlich musste ich ja alles alleine machen."
Seit dem Sommer 1945 war Irene Janetzky beim INR Teil der frankophonen Redaktion. Materiell ausgestattet lediglich mit Papier und einem Füllfederhalter, wie sie später häufiger erzählte. Und mit guten Kontakten: "Nun hatte ich wirklich sehr, sehr nette Kollegen. Ich war in der französischen Redaktion. Da hat mir der überall bekannte Luc Varenne geholfen, die ersten Sportsendungen zu machen. Ich verstand zu der Zeit nur etwas vom Tennis, aber vom Fußball wusste ich nicht sehr viel. Und das Schlimme war, dass man sich um alles kümmern musste."
"Da hatte sie ein Büro in der rédaction française. Das war auch in der Nähe ihres Studios", erinnert sich Guy Vanhaeverbeke. "Und als ich mit meinem Bruder zur Kirmes auf der Place Flagey ging, sahen wir unsere liebe Mama auf der zweiten Etage da sorgfältig tippen: ihre täglichen Nachrichten, dazu noch eine Chronik. Allmählich kam noch ein Französisch-Kurs hinzu, ein Hörerkonzert usw."
Praktisch aus dem Nichts habe Irene Janetzky dieses Programm aufgebaut und stetig erweitert: "Sie hat kämpfen müssen, um die Zeit für die deutschsprachigen Hörer auszuweiten. Sie hat es auch geschafft, weil sie allmählich einige tüchtige Mitarbeiter bekommen konnte."
Kurt und Alice Grünebaum-Freudenberger steuerten politische und gesellschaftliche Themen bei, Stiefvater Bernhard Willems Beiträge über Geschichte und Folklore aus seiner sechsbändigen "Ostbelgischen Chronik". Weitere Mitarbeiter waren im Laufe der Jahre Henri Binot in Malmedy, Nick Bellens sowie Joseph und Inge Gerckens in Eupen und Paul Margraff in St. Vith.
Ursprünglich waren die Sendungen in deutscher Sprache nur auf fünf Jahre angelegt. Als Instrument, um die Deutschprachigen zu assimilieren? Irene Jantzky widersprach dieser Vermutung 1985 im Gespräch mit Peter Thomas: "Seit dem Anfang haben wir immer darauf gepocht: Die deutsche Sprache soll bestehen bleiben. Wissen Sie, es ist sehr viel nachher fabuliert worden. Dabei hatte jeder so viel mit sich selbst zu tun, auch die Politiker, dass man sehr froh war, dass die Sendungen in deutscher Sprache liefen …"
Nur wenige Jahre nach den bescheidenen Anfängen sollten die deutschsprachigen Sendungen wegen fehlender Geldmittel eingestellt werden. Statt den geforderten schriftlichen Bericht zu erstatten, schaffte es Irene Janetzky, dem damaligen Premierminister die Lage bei einem Gespräch darzustellen.
"Dann habe ich ihm die ganze Sache erläutert, was das für eine Katastrophe wäre, wenn die Sendung aufhörte. 'Das wäre ja unmöglich, wie stellen Sie sich das vor?' Und da habe ich mich sehr aufgeregt und er lispelte so etwas: 'Je vais penser à la chose.' Da sagte ich: 'Non, non, il ne faut pas penser à la chose - maintenant! Sie haben die Entscheidung.' Und dann schließlich hat er gesagt: 'Oui, je comprends.' Und dann lief die Sendung weiter."
"Elle avait un pouvoir de conviction", sagt Guy Vanhaeverbeke, "sie war selbst überzeugt und hatte die Fähigkeit, diese Überzeugung mitzuteilen."
Peter Thomas, ab Ende der 60er Jahre Mitarbeiter im Brüsseler Team und später Chefredakteur des BRF, beschrieb aus Anlass des 90. Geburtstages von Irene Janetzky im Jahr 2004, was die Rundfunkpionierin in den Anfangsjahren ausgezeichnet hatte: "Sie war eine Frau mit viel Tatkraft, mit Energie, mit Durchsetzungsvermögen, aber auch mit viel Charme. Und der Charme hat ihr zweifellos geholfen, gerade die Schwierigkeiten der ersten Jahre zu meistern."
So fühlte sich Irene Janetzky auch bei offiziellen Anlässen wohl. Eine bekannte Schwarz-Weiß-Aufnahme, die am Eingang zu den Studios im BRF-Funkhaus hängt, zeigt sie in Abendgarderobe im Gespräch mit unter anderem dem damaligen deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Ihn zitierte sie, als sie im Januar 1975 im Rat der deutschen Kulturgemeinschaft das Bundesverdienstkreuz erster Klasse erhielt: "Es war im Gotischen Saal des Brüsseler Rathauses bei einem seiner Besuche. Und da hat er mir Folgendes gesagt: 'Ich finde es sehr zuvorkommend von der belgischen Regierung, dass sie sofort nach Ende des Krieges eine deutschsprachige Sendung ins Leben gerufen hat.' Und dann sagte er so schmunzelnd, ich werde es nie vergessen, wie er vor mir stand: 'Ich wünsche von Herzen, dass diese Sendung ein schöner Stein im Bauwerk der Verständigung nicht nur zwischen Deutschland und Belgien, sondern auch Europas sein wird'."
An Zeichen für diese Völkerverständigung erinnert sich auch Guy Vanhaeverbeke. "Sehr schnell kamen Reaktionen aus den Ostkantonen, aber eben nicht nur von Eupenern, St. Vithern oder Malmedyern … Ich weiß noch, wie stolz sie war, wenn sie Briefe bekam von Hörern aus Westdeutschland und sogar aus Ostdeutschland - ça dépassait le rideau de fer."
Anfangs reserviert, später immer selbstbewusster behauptete sich Irene Janetzky im Laufe der Jahre auch in den Aufsichtsgremien, wo sie sich konsequent vor ihre Mitarbeiter stellte. Auch als Ende der 1960er, Anfang der 70er Jahre der Aufbau der Kulturautonomie zum bestimmenden Thema wurde. In seiner Masterarbeit 'Ostbelgien hört Ostbelgien' zeichnet der Historiker Vitus Sproten vor allem dieses Kapitel nach und hält in Bezug auf Irene Janetzky fest, "dass sie mit dem Hörfunksender keine Parteipolitik betrieb", was sich auch an der Entwicklung des BHF unter ihrer Führung zeige.
Eine frühe, fast anekdotische Erinnerung von Guy Vanhaeverbeke bestätigt diese neutrale Grundhaltung in ihrer Arbeit. "Ich wurde als Junge beauftragt, täglich bei einem Zeitungshändler die Presse zu besorgen. Und sie wollte nicht nur La Libre Belgique und Le Soir, sondern auch Le Peuple und Le Drapeau rouge, um sicher zu sein, dass sie das richtige Gleichgewicht in ihrer Nachrichtensendung widerspiegeln konnte."
Neben ihrem Durchsetzungsvermögen und ihrer "goldenen Stimme" nutzte Irene Janetzky ihr Sprachentalent. Mit Deutsch als Muttersprache besuchte sie das Königliche Athenäum von Malmedy. In den 30er Jahren reiste sie auf Betreiben ihres Stiefvaters Professor Bernhard Willems nach Eastbourne, wo sie Englisch lernte, und für die italienische Sprache nach Florenz. Niederländisch konnte sie wegen ihres Mannes, des Leutnants Vanhaeverbeke, von dem sie sich nach einer wenig harmonischen Ehe scheiden ließ.
Dank ihrer Vielsprachigkeit durfte Irene Janetzky für das Institut National de Radiodiffusion Eurovisionssendungen moderieren, was ihr um ein Haar den Weg zu einer Fernsehkarriere geebnet hätte. "Sie war auf allen Titelseiten und das war ein Sprungbrett, um im Fernsehen Karriere machen zu können. Aber sie hat dieser Versuchung widerstanden, weil sie so an ihrem deutschsprachigen Belgischen Rundfunk hing", erinnert sich Guy Vanhaeverbeke.
Ihr Nachfolger Peter Moutschen erwähnte diese Episode später beim Festakt im RdK 1975, an Irene Janetzky gerichtet: "Selbst die verlockendsten Angebote haben Sie ausgeschlagen, um die Existenz unserer Sendungen zu wahren. Ich denke dabei an die große Versuchung, als man Ihnen 1954, nachdem Sie die Eurovisionssendung am Bildschirm in acht Sprachen eingeführt hatten, dringend nahelegte, zum Fernsehen überzuwechseln. Für Sie hätte das das Ende Ihres Kreuzes bedeutet. Für uns das Ende unserer Sendungen in deutscher Sprache."
Ein Jahr zuvor war Irene Janetzky als Sendeleiterin des Belgischen Hör- und Fernsehfunks (BHF) pensioniert worden. Der Sender sollte erst 1977 in BRF umbenannt werden. Ihren Lebensabend verbrachte sie in Brüssel, hielt sich aber auch viel in den USA auf. Sie verstarb am 19. Juli 2005 im Alter von 91 Jahren.
Ihre letzte Ruhe fand Irene Janetzky auf dem Friedhof von St. Vith, in einem Grab gleich rechts neben dem Eingang. "Das war für meine Mama, glaube ich, ein natürliches Empfinden: 'Ich habe dieser Gegend ein Stück meines Lebens gewidmet. Deshalb ist das eine gute Stelle für mich'."
2014, zu ihrem 100. Geburtstag, war zu Ehren der "Grande Dame du Flagey" eine Plakette im Eingangsbereich des früheren Rundfunkgebäudes angebracht worden - selbstverständlich im Beisein ihres Sohnes Guy. "Zum Schluss will ich nur sagen, dass ich es auch nach vielen Jahren immer noch wie ein Wunder empfinde, wie sie ihre beruflich schwere und delikate Tätigkeit mit ihrer Verantwortung als Mutter von zwei jungen Burschen vereinen konnte. Das bleibt für mich ein Grund der großen Liebe und Bewunderung."
Stephan Pesch