Als im Sommer 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, reagieren viele Menschen geradezu euphorisch. Selbst Intellektuelle wie der "Brücke"-Maler Erich Heckel sind nicht gegen die Kriegsbegeisterung gefeit und melden sich freiwillig zum Kriegseinsatz. Heckel wird allerdings als zu alt abgelehnt. Statt Soldat in der deutschen Armee wird Heckel Sanitäter beim Roten Kreuz.
Heckel hatte Glück, nicht an die Front zu müssen, erklärt der Kurator der Ausstellung über dessen Schaffensperiode im Museum der Schönen Künste in Gent, Lieven Van Den Abeele. "Als Sanitäter hatte Heckel die Möglichkeit, künstlerisch aktiv zu bleiben. Als Sanitäter des Roten Kreuzes ist Heckel von März 1915 bis Kriegsende in Flandern im Einsatz. Zunächst in Roeselare in Westflandern, wo er die brutale Realität des Krieges und seiner Folgen aus nächster Nähe erlebt. Später wird Heckel weiter hinter die Front verlegt, nach Ostende und Gent.
In seiner Zeit in Flandern erschafft Erich Heckel rund 75 Gemälde, hinzu kommen Hunderte Zeichnungen, Aquarelle und Grafiken - wovon in Gent nun eine beeindruckende Auswahl zu sehen ist. Es sei das erste Mal, dass diese auch in Deutschland eher unbekannte Schaffensperiode Heckels gezeigt werde, so Van Den Abeele.
Chronologische und geografische Gesichtspunkte
Organisiert ist die Werkschau im Museum der Schönen Künste in acht Sälen, wobei die Ausstellungsmacher sowohl chronologische als auch geografische Gesichtspunkte berücksichtigt haben. Nach einer Einführung in den Expressionismus beziehungsweise die "Brücke" mit Werken aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg widmet sich der nächste Saal vor allem dem Grauen des Krieges. Er glaube, dass die erste Konfrontation mit dem Krieg Heckel sehr beeindruckt habe, so Kurator Van Den Abeele in Bezug auf Heckels Zeit in Roeselare während der Zweiten Flandernschlacht. Auch sein anfänglicher Enthusiasmus für den Krieg sei schnell verflogen.
Aber Heckel hat bei Weitem nicht nur militärische und zivile Kriegsopfer gemalt. Deswegen widmen sich die anderen Säle der Ausstellung auch unter anderem seinen biblischen Metaphern, Alltagsszenen, seinen künstlerischen Eindrücken aus Gent, Brügge und Ostende und natürlich vor allem auch seinen Bildern von Land und Meer. Die flämische Landschaft müsse Heckel sehr beeindruckt haben, betont auch Van Den Abeele.
Aber selbst wenn es auf den Bildern oberflächlich um flämische Städte und Dörfer, Felder, das Meer, Wolkenformationen und immer wieder auch das Licht geht - weit weg ist der Krieg auch hier nie. Man sehe den Krieg zwar nicht in den Landschaftsbildern, erklärt der Kurator, aber man könne ihn trotzdem fühlen. Man spüre einfach die Präsenz von etwas Unheimlichem. Dazu müsse man aber natürlich den Kontext der Entstehung dieser Bilder kennen. Für die Ausstellungsmacher sei auch wichtig, dass diese Werke Heckels nun dort gezeigt werden könnten, wo sie entstanden seien, betont Van Den Abeele. Das sorge doch für ein ganz besonderes Gefühl.
Erschreckend aktuelle Werke
Mit ihrer Darstellung beziehungsweise ihren Bezügen zum Krieg sind die Werke auch erschreckend aktuell - man braucht nicht viel Fantasie, um etwa die leeren Augen der traumatisierten Kriegsopfer aus dem Ersten Weltkrieg auf die blutigen Konflikte unserer Zeit zu übertragen.
Die Ausstellung hat auch eine Botschaft, wie der Kurator unterstreicht: Die Idee sei zu zeigen, wie ein kreativer Mensch selbst in schwierigen Zeiten ein Künstler bleiben könne - ohne sich und seine Arbeit dafür zu kompromittieren, etwa durch Propaganda. Es gäbe keinen Kompromiss, man bleibe Mensch, man bleibe Künstler. Heckel selbst habe das "Integrität" genannt. Eben diese "Integrität" sei ein sehr wichtiger Begriff, wenn man den Künstler Erich Heckel definieren wolle, so Van Den Abeele sinngemäß.
Die Ausstellung "Erich Heckel in Flandern" ist bis zum 26. Januar im Genter Museum der Schönen Künste (MSK) zu sehen.
Boris Schmidt