"Ein Schelm, wer Böses dabei denkt" hat Marcel Bauer seinem Roman als Motto vorausgeschickt. Und seinen Protagonisten Benno Bong damit aus der Schusslinie genommen für seine Marotten, und, ja, auch ein wenig Verbohrtheit ... Wie eine glückliche Fügung erscheint, dass die literarische Form des Schelmenromans aus Spanien stammt, also von dort, wohin es Benno Bong mit dem Fernziel Santiago de Compostela zeitlebens hingezogen hat. Das ist aber nur eine seiner gescheiterten Pilgerfahrten, wie es im Untertitel des Romans angedeutet wird.
Bis zu etwa einem Viertel des Romans bleibt für den Leser offen, was es mit dem seltsamen Titel "Der Mäuserich" auf sich hat. Bis sich herausstellt, dass es sich um ein passendes und mit Stolz getragenes Pfadfinder-Totem handelt. Auch über die prägende Jugendzeit hinaus. Im Folgenden ist dann vor allem von der "Maus" die Rede.
Vielleicht hätte der Leser für die so gewitzte wie hartnäckige und auch nervende Figur ebenso viel Empathie entwickeln können wie Marcel Bauer, wenn er, wie beim Schelmenroman üblich, die Ich-Erzählung gewählt hätte. So wird niemand den berühmten Simplicissimus von Grimmelshausen, den Hochstapler Felix Krull von Thomas Mann oder den Oskar Matzerath von Günter Grass ob ihrer Bekenntnisse schelten.
Bei Marcel Bauer übernimmt die Rolle des Erzählers im wahrsten Sinne des Wortes ein Schutzengel. Mich erinnerte das an Jostein Gaarder und sein Buch "Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort", aber das würde hier zu weit führen. Nur sagt es viel aus, wenn ein Engel für seinen Schützling immer wieder eine Lanze brechen muss.
"Der Mäuserich" ist in erster Linie ein Buch, das verschiedene volksreligiöse Stoffe miteinander verquickt. Das tut der Autor mit viel Sachkenntnis und Sympathie, aber eben auch mit ironischer Distanz. Leser, die sich fürs Pilgern, für Reliquienverehrung und Heiligengeschichten interessieren, werden reichlich geistige Nahrung finden. Auch wenn der eine oder andere Einfall etwas wahnwitzig erscheint.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass das Buch im Jahr der Aachener Heiligtumsfahrt erschienen ist. Und siehe da: zum runden Jubiläum "unserer" Autonomie. Für die Generation von Marcel Bauer (Jahrgang 1946) war deren Entstehung prägend, auch wenn sie im Buch als "etwas Nebensächliches" beschrieben wird. Die mit Bedacht gewählten Pseudonyme lassen eindeutige Rückschlüsse auf die real handelnden Charaktere zu. Leider verliert sich das Buch aber an diesen Stellen in grobe Anachronismen und üble Verallgemeinerungen. So wird daraus kein Ostbelgien-Roman.
Um Gottes Willen, das wäre auch gar nicht im Sinne des Autors. Marcel Bauer lässt in der Realität ja keine Gelegenheit aus, den Begriff "Ostbelgien" als Marketinggag von DG-Politikern zu brandmarken. Dabei ist er seit den späten 40er Jahren verbrieft - mit der "Ostbelgischen Chronik" von Bernhard Willems. Und in der ostbelgischen Gesellschaft verwurzelt. Ganz anders als der romantisierende Name "Vennland", den Marcel Bauer litaneihaft in die Geschichte einstreut, so als wolle er die Ostbelgier zu ihrem Glück bekehren. Dabei sollte ihn die Geschichte seines "Mäuserichs" lehren, wohin zu viel missionarischer Eifer führt.
"Der Mäuserich - Die Geschichte einer gescheiterten Pilgerfahrt. Ein Schelmenroman" ist im Rhein-Mosel-Verlag erschienen.
Stephan Pesch