"Simenon und die fremde Frau" erzählt von einem Schriftsteller, der von seinem Verleger beauftragt wird, einen Roman über Georges Simenon zu schreiben, genauer gesagt über dessen frühe Jahre in Lüttich.
Einen Namen hat der Ich-Erzähler nicht. Wir erfahren aber, dass er aus Eupen stammt, in der flämischen Universitätsstadt Löwen erfolglos Philosophie studiert hat und heute in Lüttich lebt und arbeitet. Seit drei Jahren ist er "in freischwebender Treue" mit Monique liiert, gleichzeitig schwärmt er für eine Facebook-Bekanntschaft aus Bayern, Christiane, die er "per Zufall im Internet entdeckte".
Außerdem begegnen wir dem Brüsseler Verleger Edmond Moreau, einem "genießerisch in die Jahre gekommenen Mann", der seinen Verlag nach einer seiner furiosen Mätressen benannt hat. Wir treffen auf einen Simenon-Antiquar aus Outremeuse und einen Abt in geflickter Soutane, der "täglich fünf Bier und zwei weiße Schnäpse" trinkt. Die Novelle ist in Szenen eingeteilt: über jeder steht ein Datum, wie bei einem Tagebucheintrag.
Auch mit Georges Simenon selbst beschäftigt sich der Autor, indem er Einblick in die jungen Jahre des späteren Kriminalroman-Schriftstellers gewährt: Dass "der kleine Sim", wie er ihn nennt, viele Jahre unter Schlafwandel litt und dass die Schwangerschaft seiner Mutter der Auslöser dafür war. Und dass er später als Reporter der "Gazette de Liège" die Meldung zum mutmaßlichen Suizid eines kokainsüchtigen Mannes am Portal der Kirche St. Pholien verfasste - ein Fall, der später drei von Simenons Romanen als Vorlage diente.
Auf Seite elf der Novelle heißt es: "Ich habe meine intime Freundin Monique meinen ersten Text redigieren lassen. [...] Sie lächelt: 'Du übertreibst wieder. Soll das ein Tagebuch oder ein Roman werden?'"
Tatsächlich ist auch mir beim Lesen nicht klar geworden, was das Buch sein soll und was der Autor mir eigentlich sagen will. Auch die Bedeutung des Titels "Simenon und die fremde Frau" erschließt sich mir leider nicht. Die Figuren, die der Autor entwirft, sind mir allesamt unsympathisch. Vor allem der Protagonist strapaziert mit sexuellen Anspielungen und Erotik-Phantasien - vor denen selbst die Maas mit ihren "frivol spritzenden Fontänen" nicht gefeit ist. Es ist kein Vergnügen zu lesen, dass der Ich-Erzähler beim Anblick 16-jähriger Schülerinnen in Miniröcken "ins Schlittern" gerät oder dass Simenon es "selbst auf dem Teppich der Hure nicht an Ritterlichkeit fehlen" lässt.
Das 138 Seiten umfassende Buch ist zudem durchsetzt von detaillierten kulinarischen Beschreibungen: So lesen wir zum Beispiel, dass der Ich-Erzähler zum Bier im "Mort Subite" ein Käsebrot isst, zum Hasenrücken mit Rotkohl Crozes-Hermitage-Wein bestellt und dass er sein weißes Hoegaarden mit einem Stück Zitrone trinkt, und zwar zu Muscheln mit Fritten.
Die fremde Frau aus dem weltweiten Netz, auf die der Buchtitel vermutlich anspielt, taucht nie auf. Die Schwärmerei des Protagonisten für sie, von der er nur ein Zeitungsfoto hat, und das Hin- und Her der E-Mails wirken auf Dauer ermüdend. Mehrere geplante Begegnungen werden kurzfristig annulliert und auch das Ende des Buchs ist keine Überraschung.
Ich habe "Simenon und die fremde Frau" nicht gerne gelesen. Nur die wenigen in Kursivschrift verfassten Texte zu Georges Simenon selbst sind interessant. Leider haben sie mir beim Verständnis des Buchs nicht weitergeholfen.
Judith Peters
Dies hätte die Rezensentin ebenfalls zitieren können: "Drüben strömt
der Fluss seiner vaginalen Mündung zu, heim in die graue
Nordsee." (S. 19) Oder: "Allein ihre Nachtgespräche vermisst er, wenn sie nach ei-
nem langen Atemholen plötzlich hellwach wurde und aus ihrer
Jugend im Nonnen-Internat Ste Sophie im Ardennen-Städtchen
Virton erzählte, wo die strenge Nachtschwester Julienne zu ihr
gekrochen war und sie in den magischen Regionen zu strei-
cheln begann. (...) Tief in sich, so war er überzeugt, können bei Frauen
„in der Zeit danach“ so etwas wie „mystische Strömungen oder
suizidäre Neigungen ausbrechen." (S. 8)
Ich stimme Frau Peters in ihrer Beurteilung des Buches vollständig zu.
LG
Die Novelle besteht aus pikanten Tagebuch-Aufzeichnungen. Freddy Derwahl entdeckte beim Schreiben, dass Simenon ein, wenn auch steinreicher, sehr armer Mann gewesen ist. Zwischen seinen Welterfolgen und seinen Scheidungen lag eine ungestillte Einsamkeit. Der Selbstmord seiner schönen jungen Tochter Marijo ist ein bedrückendes Zeichen. Da stand der Frauenheld am Grab seines Kindes.
In jedem Fall schafft diese Novelle Lust auf mehr, denn der Leser liebt intime Einblicke. In diesem Tagebuch spürt Freddy Derwahl dem Phänomen Simenon nach und versucht es, zu ergründen. Ein literarisches Kleinod, das mich begeistert hat.
Eine hochinteressante Novelle aus der Feder des Eupener Autors Freddy Derwahl. Er beweist erneut, dass er sehr gut schreiben kann. Gratulation.