"Nein! Das wird kein einfacher Gipfel" – so brachte es der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte am Vormittag auf den Punkt. "Nicht einfach" – oft gilt das natürlich für die Gipfeltreffen, bei denen es wirklich um etwas geht. Und das ist am Donnerstag und Freitag der Fall. Denn im Mittelpunkt steht die Ukraine. Erstmal geht es um ein großes, neues Hilfspaket für das Land. Das ist umso nötiger, als die USA sich unter dem Druck der Republikaner mehr und mehr zurückzuziehen scheinen. "Die USA und Europa, das ist eigentlich die freie Welt", sagte der irische Ministerpräsident Leo Varadkar vor Beginn des Gipfels. "Und wir dürfen die Ukraine nicht fallenlassen. Denn dann gewinnt Putin". Und die Folgen, nun, darüber wolle er gar nicht nachdenken, sagte Varadkar.
Mit 50 Milliarden Euro will die EU die Ukraine in den kommenden vier Jahren unterstützen. Vor allem Ungarn ist dagegen und führt da haushaltstechnische Gründe an. Der deutsche Bundeskanzler Scholz bleibt aber dabei: Es sei wichtig, dass es gelänge, die Finanzfazilität für die Ukraine zu ermöglichen. Und damit die Grundlage dafür zu schaffen, dass die Ukraine den Widerstand gegen die russische Aggression fortsetzen könne. Das allerdings ist noch das kleinere Problem. Denn in Brüssel geht es auch und vor allem um einen hochsymbolischen Akt, nämlich die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Die EU-Kommission hatte vor einigen Wochen schon mal ihr grünes Licht gegeben, für die Brüsseler Behörde erfüllt das Land die Kriterien. Nur müssen auch die Staats- und Regierungschefs noch ihre Zustimmung geben.
Für die meisten gibt es da kein Vertun: "Die Bürger in der Ukraine und auch in der Republik Moldau verdienen das", sagte der litauische Präsident Gitanas Nauseda. "Beide Länder hätten doch so viele Anstrengungen unternommen, um die Kriterien der EU-Kommission erfüllen zu können." Das sei der logische nächste Schritt, sagte auch der geschäftsführende niederländische Premier Rutte. Natürlich sei ein möglicher EU-Beitritt der Ukraine nicht für morgen, es gehe eben vor allem um das Symbol. Die Ukraine kämpft gerade buchstäblich um ihr Überleben. Außerdem seien 90 Prozent der Bürger für einen EU-Beitritt. Genau deswegen sei es wichtig, dem Land jetzt eine europäische Perspektive zu geben – jetzt, und nicht in ein paar Monaten.
Hier kommt aber wieder Viktor Orban ins Spiel. Der ungarische Ministerpräsident steht hier mit beiden Füßen auf der Bremse, ist kategorisch gegen die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Und er glaubt dafür auch gute Gründe zu haben. Sieben Grundbedingungen seien im Vorfeld festgelegt worden. Und von diesen sieben Bedingungen erfülle die Ukraine mindestens drei nicht, zu diesem Schluss sei doch sogar die EU-Kommission gekommen. Und deswegen gebe es da auch nichts zu diskutieren: Dieser Punkt müsse vertagt werden.
Für Beobachter ist indes klar, das da noch was anderes mitspielt. Abgesehen davon, dass Orban als Putin-Freund gilt, sei zudem denkbar, dass er nur den Druck erhöhen will, um EU-Gelder loszueisen, die aus verschiedenen Gründen eingefroren wurden. Insgesamt geht es da um immerhin 22 Milliarden Euro. Knapp die Hälfte davon, nämlich zehn Milliarden Euro, kann jetzt aber schon mal fließen. Das hat die EU-Kommission am Mittwoch entschieden. Ungarn habe mit den jüngsten Justizreformen alle vereinbarten Anforderungen erfüllt, begründete der belgische EU-Justizkommissar Didier Reynders den Beschluss.
Das Timing ist natürlich gelinde gesagt unglücklich. Das räumten auch diverse Staats- und Regierungschefs ein. Nur sei das nun mal das Prozedere, mit der aktuellen Diskussion beim Gipfel habe das nichts zu tun. Mehr noch: Es dürfe auch gar nicht auf Erpressung hinauslaufen, sagte der finnische Premier Petteri Orpo. Wir müssen hier gemeinsam eine Lösung finden. Viktor Orban selbst verbittet sich den Vorwurf, dass er nur Geld für das Land herausschlagen wolle. Ungarn verbinde nicht nationale Themen mit - im vorliegenden Fall - der Ukraine. "Das ist nicht unser Stil", sagt Orban.
Kein einfacher Gipfel also. "Wir müssen nur alles tun, um die Geschlossenheit zu wahren", sagte Premierminister Alexander De Croo. Und er sei davon überzeugt, dass das möglich ist, wenn nur ausreichend guter Wille am Tisch vorhanden ist.
Roger Pint
Da wird also das nächste Fass ohne Boden angeschlagen. Hat man nichts gelernt aus den Abenteuern Afghanistan, Mail etc. ? Später wird man wieder feststellen : außer Spesen nichts gewesen.