Erst die gute Neuigkeit: Die EU-Kommission hat endlich - wenn auch sichtbar zähneknirschend - ihre Pläne für einen Gaspreisdeckel vorgelegt. Der Entwurf kann am Donnerstag bei der Sondersitzung der EU-Energieminister besprochen werden. Die Maßnahme könnte sogar schon zum 1. Januar 2023 in Kraft treten.
Besonders in Italien, Polen, Griechenland und in Belgien wird man das gerne hören. Diese Länder fordern schon seit Monaten die Einführung einer Preis-Obergrenze, damit Gas bezahlbar bleibt. Vor allem Belgien hatte hier Druck gemacht. Premierminister Alexander De Croo und Energieministerin Tinne Van der Straeten hatten keine Gelegenheit ausgelassen, um eine solche Gaspreisbremse zu fordern. In belgischen Augen macht ein solcher Mechanismus nämlich nur Sinn, wenn er auf der EU-Ebene angesiedelt wird. "Mission erfüllt!", könnte man also meinen.
Die schlechte Neuigkeit ist allerdings, dass sich die Gaspreisbremse, die EU-Energiekommissarin Kadri Simson jetzt vorgelegt hat, in der Praxis als eine stumpfe Waffe erweisen könnte. Es ist dann doch eine ziemlich hohe Obergrenze, die die EU-Kommission festlegen will. "Die Gaspreisbremse greift, wenn der Preis zwei Wochen lang 275 Euro pro Megawattstunde übersteigt", sagt Kommissarin Simson. Hinzu kommt noch ein zweites Kriterium. "Der Gaspreis muss gleichzeitig mindestens 58 Euro höher liegen als der Referenzpreis für Flüssiggas am Weltmarkt."
Praxis-Test
Die Obergrenze von 275 Euro wurde während der Krise nur einmal überschritten, nämlich Ende August. Damals stand der Preis für eine Megawattstunde Gas an der wichtigsten Energiebörse in Amsterdam plötzlich bei knapp 350 Euro, rund 30 Mal so viel wie im August 2019. Aber das war eben nur dieses eine Mal.
Hinzu kommt aber, dass der Preis laut dem Kommissionsvorschlag zwei Wochen lang über 275 Euro liegen muss, ehe die Gaspreisbremse greift. Das war auch Ende August nicht der Fall. Anders gesagt: Hätte es die Gaspreisbremse in dieser Form schon gegeben, wäre sie bislang noch nie zum Einsatz gekommen.
Obendrauf gibt es auch noch ein zweites Kriterium: Man vergleicht den Preis für Pipelinegas mit dem für Flüssiggas (LNG) um zu schauen, inwieweit es sich um einen allgemeinen weltweiten Trend handelt oder nicht.
Bei derart strengen Kriterien muss man sich nicht wundern, dass Kritiker eben von einer "stumpfen Waffe" sprechen. Zumindest auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen kann man behaupten, dass dieser Gaspreisdeckel wohl nie aktiviert wird.
Marktmanipulationen durch Russland
Die Kommission sieht in dieser Maßnahme nur ein "allerletztes Mittel". Im Kommissionsjargon hört die Gaspreisbremse auf den knackigen Namen "Markt-Korrektur-Mechanismus". Das sagt, was es sagt. Grob zusammengefasst soll der Preisdeckel nämlich nur dann greifen, wenn der Markt durch externe Faktoren verzerrt wird.
Die EU-Kommission hat zunächst die Entwicklung der letzten Monate und vor allem die Preisspitze vom August genau analysiert. Der Befund: Das sei nicht nur eine Folge der reinen Marktentwicklung gewesen, sagte Energiekommissarin Kadri Simson. Mitgespielt hätten da unter anderem auch gezielte Marktmanipulationen durch Russland.
Genau deswegen brauche man eben einen solchen Markt-Korrektur-Mechanismus: Hier gehe es nicht darum, den Preis künstlich niedrig zu halten. Ziel sei lediglich, Preisspitzen einzudämmen, die nicht mehr durch die allgemeine Entwicklung an den internationalen Märkten zu erklären sind.
"Preis-Notbremse"
Das wäre eher eine "Preis-Notbremse". Das ist nicht im Sinne des Erfinders, entspricht zumindest nicht dem, was Belgien und den anderen Befürwortern eines Gaspreisdeckels da vorschwebte. Laut Presseinformationen sind es immerhin 15 EU-Staaten, die die Obergrenze als zu hoch empfinden.
Die EU-Kommission hat da offensichtlich einen Mittelweg gesucht. Denn vor allem Deutschland, die Niederlande und Dänemark waren strikt gegen eine Gaspreisbremse. Sie fürchten, dass die LNG-Schiffe bei einer Deckelung der Preise einen Bogen um Europa machen könnten, dass der EU das Gas ausgehen könnte.
Beim Sondertreffen der EU-Energieminister am Donnerstag werden sich diese beide Lager gegenüberstehen. Da ist Streit wohl vorprogrammiert.
Roger Pint