"Nein, wir haben im Moment keine Planungssicherheit", beklagte der föderale Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke in der VRT, "weil wir keine klaren Informationen von Astrazeneca bekommen", fügt er gleich anklagend hinzu.
Die Ankündigung des schwedisch-britische Unternehmens hat die EU kalt erwischt. Demnach können in den nächsten Wochen nur 40 Prozent der versprochenen Impfdosen geliefert werden - weniger als die Hälfte also. "Natürlich werden wir diese Impfdosen irgendwann bekommen. Nur, das ist nicht der Punkt", sagte Vandenbroucke. "Hier geht es allein um das Tempo der Lieferungen. Und das ist von wesentlicher Bedeutung. Wir hatten nämlich geplant, im Februar-März mit 1,5 Millionen Dosen von Astrazeneca zu starten und damit einen Gang höher zu schalten."
Lieferengpässe - das kann vorkommen. Die Konkurrenten Pfizer und Moderna mussten ja auch schon ihre vollmundigen Versprechen "korrigieren". Nur nimmt man Astrazeneca die Geschichte nicht so richtig ab, vor allem, weil es in anderen Ländern offensichtlich keine derartigen Probleme gibt. Die Rede ist vor allem von Großbritannien.
"Die EU hat schlecht verhandelt", hört man da immer mal wieder. Das allerdings kann eigentlich niemand mit Sicherheit behaupten. Denn, der Punkt ist: Man weiß es nicht. Noch nicht, denn der Vertrag werde jetzt öffentlich gemacht, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Freitagmorgen in der RTBF. Zudem werden die europäischen Produktionsniederlassungen von Astrazeneca in Augenschein genommen, um zu untersuchen, ob das, was das Unternehmen als Grund für die Lieferengpässe angibt, auch wirklich stimmt.
Hier steht ein Verdacht im Raum. Nämlich, dass Astrazeneca die für die EU bestimmten Impfdosen einfach nach Großbritannien verkauft hat. "Die EU hat zu spät bestellt", so eine häufig gehörte Erklärung dafür. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das am Freitagmorgen ebenfalls dementiert. Dass Großbritannien früher bestellt habe, spiele für die Lieferpflichten des Unternehmens keine Rolle. "Das ist nicht wie beim Bäcker, wo man Schlange steht", so von der Leyen.
Astrazeneca müsse also seinen Verpflichtungen nachkommen. Das Problem ist: Sollte die Version des Unternehmens stimmen, dann liegt die Ursache für die Lieferengpässe in der EU, genau gesagt in einem Zulieferbetrieb in Belgien, nämlich in Seneffe in der Provinz Hennegau. Notfalls müsse dann eben Impfstoff, der in den britischen Niederlassungen produziert werde, nach Europa geliefert werden. Das allerdings wollen die Briten nicht.
Ausfuhrbeschränkungen
Spätestens da ist wohl dem einen oder anderen in Brüssel die Hutschnur geplatzt. Jetzt jedenfalls werden die Daumenschrauben ausgepackt. Im Raum steht das Wort "Ausfuhrstopp". Didier Reynders nuancierte das am Morgen. "Wir wollen mit Exportlizenzen arbeiten." Ermittelt werden soll zunächst das Gesamtvolumen der Produktion. Und dann wird man schauen, wohin diese Dosen transportiert werden und ob es sich um Chargen handelt, die eigentlich für die EU bestimmt waren.
Diese möglichen Exportbeschränkungen würden nicht nur Astrazeneca betreffen, da gibt es ja anscheinend in Großbritannien kein Problem. Nein, hier ginge es auch um die Impfstoffe der anderen Hersteller, die in Europa produziert werden, zum Beispiel in der Pfizer-Niederlassung in Puurs bei Antwerpen. Im schlimmsten Fall würden die dann eben nicht mehr nach Großbritannien ausgeführt.
Und wer jetzt sagt, die EU gebe hier den schlechten Verlierer: Die EU hat die Unternehmen bei der Forschung finanziell massiv unterstützt und auch die Produktion zum Teil vorfinanziert, betonten Vandenbroucke und auch Reynders.
Wirksamkeit
Viel Knatsch also. Und das alles wegen eines Impfstoffes, der noch dazu nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Ist das Präparat von Astrazeneca geeignet für Menschen über 65? Man weiß es einfach nicht. Grund ist vor allem, dass unter den Probanden der Phase-3-Tests zu wenig ältere Menschen waren.
In Deutschland hat die zuständige Impfkommission schon empfohlen, das Mittel nur Erwachsenen unter 65 Jahren zu spritzen. Der renommierte Virologe Marc Van Ranst schloss sich in der VRT dieser Einschätzung an, eben wegen der aktuell nicht verfügbaren Daten. Was aber nicht heiße, dass der Impfstoff nicht für jüngere Menschen durchaus respektabel sein könne, sagt Van Ranst.
Roger Pint