Allzu viel Grund zum Feiern hat Großbritannien beziehungsweise die Regierung von Premier Boris Johnson in letzter Zeit nicht gehabt. Stichwort: stockende Brexit-Verhandlungen. In Sachen Corona-Krisenmanagement haben sich die Briten auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Wohl auch vor diesem Hintergrund sollte man also die Ankündigung sehen, dass Großbritannien als erstes Land der westlichen Welt mit den Impfungen gegen das Virus beginnen wird. Dabei wird der Impfstoff von Pfizer-Biontech eingesetzt werden, der im belgischen Puurs produziert wird. 800.000 Dosen sollen von dort zunächst ins Vereinigte Königreich gebracht werden.
Möglich gemacht hat das eine Entscheidung der britischen Zulassungsbehörde, der "Medicines and Healthcare Products Regulatory Agency" (MHRA). Die hat eine schnelle Freigabe erteilt, eine sogenannte Notfallzulassung.
Nun ist die Situation Großbritanniens ja etwas speziell. Eigentlich hat das Land die Europäische Union verlassen, aber befindet sich weiterhin in einer Übergangsphase. So lange das der Fall ist, bleibt Großbritannien noch Teil des Binnenmarktes und ist damit weiterhin auch bei den Arzneimitteln den Regeln der EU unterworfen. Nach denen werden die meisten Medikamente von der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zugelassen. Betonung auf "die meisten".
Das, was die Briten da jetzt gemacht haben, ist weder illegal noch ein Hintertürchen, wie auch Stefan De Keersmaecker, Sprecher der Europäischen Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in der VRT erklärte. Manche nationale Gesetzgebungen erlauben nämlich den jeweiligen Regierungen, zeitlich begrenzte Notfallzulassungen, wenn dadurch eine Gesundheitskrise besser bewältigt werden kann und das sei so in der Europäischen Gesetzgebung auch vorgesehen, betonte De Keersmaecker. Die Notfallzulassung wie jetzt bei den Briten erlaube in Notfällen unter Einhaltung strikter Regeln bestimmte Bevölkerungsgruppen für einen begrenzten Zeitraum zu behandeln.
Das, was die Europäische Union aber wolle, sei eine sogenannte "Marktzulassung" der Impfstoffe. Also, dass die Impfstoffe auf den Markt gelangen, verkauft werden und europaweit zirkulieren dürften. Das sei eine viel breitere Zulassung als eine Notfallzulassung und dazu bedürfe es einer gründlichen Analyse der Impfstoffe durch die Europäische Arzneimittelagentur. Die prüfe die Einsatzfähigkeit und die Sicherheit der Impfstoffe.
Außerdem hätten die EU-Mitgliedsstaaten mehrere Male die Möglichkeit von Notfallzulassungen besprochen, aber es habe einen allgemeinen Konsens gegeben, Notzulassungen nur sehr umsichtig einzusetzen. Und zwar, um der EU-Arzneimittelagentur die notwendige Zeit zu geben, um ihre Analyse der Impfstoffe durchzuführen.
Die EMA verfüge über sehr gute und fähige Experten und Wissenschaftler für diese Aufgabe. Dabei würden dann neben klinischen Daten und den Ergebnissen klinischer Tests beispielsweise auch die Produktionsprozesse ausgeleuchtet. Genau das sei eben sehr wichtig, um das Vertrauen der Bürger zu gewinnen, unterstrich De Keersmaecker. Man dürfe keinesfalls vergessen, dass der entscheidende Schritt nach der Zulassung der Impfstoffe die Impfkampagne sei. Damit die erfolgreich sei, müsse man den Menschen beweisen, dass die Impfstoffe auch sicher und brauchbar seien. Das funktioniere eben am besten über die Arbeit der Europäischen Arzneimittelagentur.
Natürlich hätten alle ein Interesse daran, dass die Corona-Impfungen möglichst schnell beginnen könnten. Und man sei auch bereit, Prozeduren zu unterstützen, die das beschleunigten. Sobald die EMA einen positiven Bescheid gegeben habe, werde die EU-Kommission nach Konsultation mit den Mitgliedsstaaten die Impfstoffe so schnell wie möglich auf den Markt bringen lassen.
Aber beschleunigte Prozeduren dürften eben nie mit Beeinträchtigungen der Gesundheit der Menschen oder der Sicherheit der Einsetzbarkeit der Impfstoffe erkauft werden, betonte De Keersmaecker. Außerdem gehe es ja schon schnell. Die EMA wolle sich spätestens am 29. Dezember über den Impfstoff von Pfizer-Biontech äußern - und am 12. Januar über den von Moderna.
Boris Schmidt