Michael Roth, der deutsche Staatssekretär für Europa, klingt schon hörbar genervt, als er am letzten Tagesordnungspunkt ankommt: Wieder geht's um den Brexit. Diesmal hat die Diskussion den EU-Ministerrat für allgemeine Angelegenheiten in Luxemburg überschattet, denn wieder tickt die Uhr. An diesem Freitag läuft eine Frist ab.
Beim letzten EU-Gipfel in Brüssel vor zweieinhalb Wochen hatten die verbleibenden 27 EU-Staaten eine, man könnte sagen, "doppelte" Deadline festgelegt. Entweder, das Parlament in London verabschiedet den Brexit-Deal von Theresa May: Dann gilt ein Aufschub bis zum 22. Mai und dann gibt es einen geregelten Austritt. Das ist aber nicht passiert, das britische Unterhaus hat den Deal inzwischen zum dritten Mal abgelehnt. Oder: Sollte der Deal nicht verabschiedet werden, dann muss London bis zum 12. April entscheiden, wie es weitergehen soll.
Der 12. April ist nicht willkürlich gewählt: Spätestens dann muss man in London entschieden haben, ob im Vereinigten Königreich Europawahlen organisiert werden. Die finden ja zwischen dem 23. und dem 26. Mai statt. Denn eine Sache ist unumstößlich: Ohne Abgeordnete im EU-Parlament ist man raus.
Dieser 12. April ist nun da. Und in London reift inzwischen die - zumal in den Augen der Hardliner - wohl bittere Erkenntnis, dass man wohl nicht daran vorbeikommen wird, Wahlen zu organisieren. Nur: Das allein hebt ja nicht alle anderen Zwänge auf. Im Prinzip hätte der Brexit ja schon am 29. März erfolgen sollen. Heißt: Man braucht in jedem Fall einen formalen Aufschub.
Besagte doppelte Frist war aber auch nicht zufällig gewählt. Hier ging es ja darum, dass die Europawahlen nicht in Gefahr gebracht werden. Genauer gesagt: Es gilt zu vermeiden, dass der britische Schleuderkurs nicht am Ende noch dafür sorgt, dass die Wahlen für ungültig erklärt werden müssen.
Und all das erklärt dann auch, dass die Stellungnahmen der Vertreter einiger Mitgliedstaaten jetzt doch entschlossener klingen als bisher. Deutschland etwa wünscht sich in erster Linie, dass sich die Briten ausdrücklich dazu verpflichten, Europawahlen auch tatsächlich abzuhalten.
Die französische Staatssekretärin für europäische Angelegenheiten klang ihrerseits so giftig, wie die südlichen Nachbarn klingen können, wenn ihnen die Geduld ausgeht. "Damit das klar ist", sagte Amélie de Montchalin, "die Bewilligung einer neuen Fristverlängerung ist keine Formalität, das wird nicht automatisch erfolgen. Wir wollen erstmal von den Briten wissen, was sie mit der zusätzlichen Zeit zu tun gedenken. Wir wollen einen konkreten Plan sehen".
Damit verbunden ist auch die Frage, was ein Aufschub bis zum 30. Juni überhaupt bringen soll. Wir sprechen hier ja wieder nur über ein paar Wochen. Was soll sich da schon grundlegend ändern können?
Es gibt zwar ein neues Element, das einen weiteren Aufschub im Grunde erst rechtfertigen kann - die britische Premierministerin Theresa May hat ja jetzt Gespräche aufgenommen mit dem Chef der oppositionellen Labour Party -, nur stellt sich dann immer noch die Frage, ob die beiden denn in so kurzer Zeit irgendwas zustande bringen können. Deswegen zeichnet sich denn auch ab, dass die EU-Staaten den Briten wohl einen längeren Aufschub anbieten wollen.
Doch auch das will man nicht tun, ohne sich bis zu einem gewissen Maß abzusichern. "Wir wollen auch wissen, wie sich die Briten einen möglichen längeren Verbleib in den EU-Entscheidungsgremien vorstellen", sagte die französische Staatssekretärin Amélie de Montchalin. Welche Rolle will das Vereinigte Königreich spielen, auf welche Weise will man mitreden? Da hat man sich wohl in Paris an einige Tweets von britischen Hardlinern erinnert, die unverhohlen damit gedroht haben, die EU möglichst zu blockieren, falls man doch länger bleiben müsste.
Das alles nur um zu sagen: Die britische Premierministerin Theresa May wird beim EU-Sondergipfel am Mittwoch mehr liefern müssen, als nur einen bloßen Antrag auf Fristverlängerung. Es muss ein Engagement sein: EU-Wahlen abzuhalten und sich, wenn es denn länger dauern sollte, auch loyal aufzustellen.
Ohne eine Fristverlängerung droht in jedem Fall ein No-Deal-Brexit: Großbritannien würde an diesem Freitag ungeordnet aus der EU stolpern. Belgien will jedenfalls doch schonmal vorbauen: Für Mittwoch hat Premierminister Charles Michel die Länder, die am stärksten von einem No-Deal-Brexit betroffen wären, zu einem Mini-Gipfel eingeladen, um sich gemeinsam auf einen möglichen No-Deal vorzubereiten.
Roger Pint