Vincenzo Bellini ist ein italienischer Komponist aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Bellini ist einer der Hauptvertreter des sogenannten "Belcanto", übersetzt "Schöner Gesang" - und genau das ist es auch: Melodie und Text stehen im Mittelpunkt, und das Orchester ist vor allem dazu da, diese Melodie und den Text zu unterstützen. Das ist auch in der Oper "I Capuleti e i Montecchi" der Fall.
Der Titel "I Capuleti e i Montecchi" sagt ja schon, worum es hier eigentlich geht: Die Capulets und die Montagus - das sind die beiden verfeindeten Familien von Romeo und Julia. Und das lässt uns gleich an die Tragödie von William Shakespeare denken, aber Bellini und sein Librettist Felice Romani haben sich nicht auf Shakespeares Theaterstück basiert, sondern auf die noch älteren italienischen Quellen dieser Geschichte, und so kommt es, dass es zur bekannten Version von "Romeo und Julia" doch deutliche Unterschiede in den Personen und in der Handlung gibt.
Dazu meint Maurizio Benini, der sehr erfahrene Gastdirigent dieser Lütticher Produktion, dass der größte Unterschied wohl darin bestehe, dass bei Bellini die Rolle des Romeo durch eine Frau gesungen wird. Zur Zeit von Bellini, also vor etwa 200 Jahren, wurden die Rollen von jungen Männern oft durch eine Mezzo-Sopranistin gesungen. Das hat nichts mit "gendern” oder Emanzipation zu tun, sondern damit, dass Frauenstimmen als einfühlsamer und reiner galten, also geeigneter für die Rollen von jungen männlichen Helden. Moderne Regisseure nehmen das gerne zum Anlass, um gleichgeschlechtliche Liebe und Homosexualität zu thematisieren, aber das spielte in der Intention von Bellini absolut keine Rolle.
Die Inszenierung von "I Capuleti e i Montecchi" in Lüttich wurde von dem jungen Regisseur Allex Aguilera geleitet, und die Zusammenarbeit mit dem "alten Hasen" Benini - und das sage ich mit dem allergrößten Respekt vor dem Maestro, der schon an den wichtigsten Opernhäusern der Welt dirigiert hat - hat sehr gut funktioniert, weil der Regisseur bei all seinen Ideen immer Bellinis Musik und Romanis Text respektiert hat.
Neue Ideen sind wichtig und willkommen in einer Operninszenierung, aber diese neuen Ideen müssen zur Musik und zum Text passen. In diesem Sinne hat Allex Aguilera laut Maestro Benini sehr gute Arbeit geleistet.
A propos sehr gute Arbeit - ich muss mich an dieser Stelle einmal mehr wiederholen und das Orchester der Lütticher Oper in den höchsten Tönen loben. Und wie Maurizio Benini das Orchester durch die Partitur leitet, ist phänomenal. Sauber, präzise, mit wunderbaren Solopassagen von Horn, Cello und Klarinette - das alles ist höchstes Niveau.
Großes Lob auch den Sängerinnen und Sängern in den Hauptrollen, allen voran Rosa Feola als Giulietta und Raffaella Lupinacci als Romeo. Und nicht zu vergessen der Chor der Lütticher Oper, diesmal vor allem die Herren - sie leisten als die Anhänger der beiden verfeindeten Familien einen klangvollen und ausdrucksstarken Beitrag zum hohen Niveau von "I Capuleti e i Montecchi" - ein Niveau, das Lust macht auf die letzte Opernproduktion der Saison in ein paar Wochen, dann mit einem würdigen Abschluss, nämlich mit "Carmen" von Georges Bizet. Ich freue mich drauf!
Patrick Lemmens