Die Oper "Les Contes d'Hoffmann" von Jacques Offenbach hat nichts mit den leichten Operetten zu tun, die man sonst von Offenbach kennt, wie "La Belle Hélène", "La Périchole" oder "Orpheus in der Unterwelt" mit seinem weltberühmten Can-Can. Bei "Hoffmanns Erzählungen", wie die Oper in der deutschen Fassung heißt, geht es um die Liebe, genauer gesagt um die unglücklichen, am Ende enttäuschten Liebschaften des Dichters Hoffmann.
Die Handlung basiert auf drei Erzählungen von E.T.A. Hoffmann, dem bekannten deutschen Schriftsteller der Romantik. In der Oper wird Hoffmann selbst zur Hauptperson seiner Erzählungen, und in jedem der drei Haupt-Akte beschreibt er eine dieser unglücklichen Liebschaften. Im ersten Akt verliebt er sich in die singende mechanische Puppe Olympia, die am Ende von einem Bösewicht zerbrochen wird. Im zweiten Akt liebt er die junge Sängerin Antonia, die wie schon ihre Mutter an einer seltenen Krankheit stirbt, die durch das Singen ausgelöst wird, und im dritten Akt begehrt er die Kurtisane Giulietta, die ihn aber nur benutzt, um ihm sein Spiegelbild zu stehlen.
Diese drei Hauptsätze werden eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog, in dem Hoffmann sich gemeinsam mit Studenten in einer Kneipe volllaufen lässt, um die Launen seiner aktuellen Geliebten Stella zu ertragen. Am Ende der Oper lässt Hoffmann die Liebschaften hinter sich und widmet sich wieder seiner Muse und der Dichtkunst.
"Les Contes d'Hoffmann" ist eine oft und gerne gespielte Oper im internationalen Repertoire, und das, obwohl es sehr viele verschiedene Fassungen gibt - oder vielleicht auch gerade deswegen. Der Grund für diese vielen Versionen ist die Tatsache, dass Jacques Offenbach kurz vor der Premiere starb, und dass die Oper zu dem Zeitpunkt noch lange nicht fertig war. Nach dem Tod des Komponisten haben dann immer wieder neue Instrumentierungen, Bearbeitungen und Veränderungen stattgefunden, so dass es heute diese vielen unterschiedlichen Versionen gibt
In allen Fassungen gibt es aber die Barcarole. Das Lied ist neben dem Can-Can wohl Offenbachs bekanntestes Stück, und in Lüttich wurde es wunderbar interpretiert von den beiden weiblichen Hauptdarstellerinnen Jessica Pratt und Julie Boulianne. Auch die anderen Solistenrollen waren hervorragend besetzt, mit Arturo Chacón-Cruz als Hoffmann und Erwin Schrott als dämonischer Bösewicht. Das Sängerensemble der Oper hat in "Les Contes d'Hoffmann" viel zu tun, und nach etwas asychronem Beginn stellte der Chor seine großen klanglichen Qualitäten immer wieder unter Beweis.
Die große Konstante in der hervorragenden Qualität der Lütticher Oper ist und bleibt für mich aber immer wieder das Orchester. Unter der leidenschaftlichen Leitung von Chefdirigent Giampaolo Bisanti legen die Musikerinnen und Musiker eine Qualität und Spielfreude an den Tag, die sich mit den großen Opernhäusern Europas durchaus messen kann.
Die Inszenierung von Regisseur Stefano Poda ist modern und oft schwarz-weiß gehalten, und das Schauspiel aller Akteure ist bewusst schlicht und subtil gehalten, so dass der Zuschauer sich voll und ganz auf die Musik konzentrieren kann. Und die ist herrlich - ein Besuch der Oper lohnt sich also! Das ist auch für Spätentschlossene noch möglich - "Les Contes d'Hoffmann" stehen in Lüttich noch bis zum 2. Dezember auf dem Spielplan.
Patrick Lemmens