Christopher Froome hat seine zweite Tour de France gewonnen, aber man weiß nicht recht, wie dieser Sieg einzuschätzen ist. In den ersten beiden Tourwochen und vor allem in den Pyrenäen war Froome überragend, keine Frage. Aber in den Alpen kam er auf den letzten Etappen doch stark in Bedrängnis. Hätte Nairo Quintana früher angegriffen, wäre Froome vielleicht nicht Gesamtsieger geworden. Doch wegen der Defensivtaktik der Mannschaft Movistar werden wir diese Frage nie beantworten können. Tatsache ist, dass die Tour de France in den letzten drei Alpenetappen interessanter war als in den zweieinhalb Wochen zuvor.
Froome hat die Tour aber auch gewonnen, weil er eine bessere Mannschaft hatte als Quintana und Valverde. Die Vorbereitung vor der Tour und die Strategie des Sky-Teams während des Etappenrennens waren meisterlich. Auf jeder Etappe standen Froome immer die richtigen Mannschaftsgefährten zur Verfügung, und zwar abwechselnd. Klasseleute wie Richie Porte, Nicolas Roche und vor allem Geraint Thomas hatten ihre Tour komplett auf den Gesamtsieg von Froome ausgerichtet und auf persönliche Ziele wie einen Etappensieg oder einen guten Platz in der Gesamtwertung verzichtet. So generalstabsmäßig wie das Team Sky hat das noch keine Mannschaft bei der Tour de France praktiziert.
Für Christopher Froome war die letzte Woche aus mehreren Gründen dramatisch. Nicht nur weil Konkurrent Quintana immer mehr Rückstand in der Gesamtwertung aufholte, sondern auch weil die Buh-Rufe der Zuschauer an der Strecke nicht aufgehört haben.
Inszeniert von den Kommentatoren des Französischen Fernsehens und der französischen Sportzeitung "L'Equipe" stand Froome während dieser Tour 2015 permanent unter Dopingverdacht. Ohne einen einzigen Beweis wurde dieser Verdacht in der französischen Öffentlichkeit geschürt. Tragischer Höhepunkt dieser Kampagne war die Urin-Attacke gegen Froome durch einen französischen Zuschauer entlang der Strecke. Fahrlässig war vor allem, dass die Tourleitung Christopher Froome gegen diese Rufmord-Kampagne nicht deutlicher in Schutz genommen hat. Das hätte schlimm enden können.
Werner Barth - Bild: Sebastien Nogier/AFP